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Es werden Posts vom Dezember, 2025 angezeigt.

Der Rechtsstaat im Stresstest: Eine kritische Würdigung des "Justiz-Projekts" (Teil 6)

Das digitale Panoptikum und das Elend des Scholactivism: Ein Schlussplädoyer für die Entpolitisierung der Justiz Zum Abschluss der kritischen Analyse des „Justiz-Projekts“ müssen wir den Blick von den verstaubten Aktenkellern der Personalabteilungen in den Serverraum der dritten Gewalt lenken. Das Kapitel zur IT-Infrastruktur, verantwortet von Lennart Laude und Janos Richter, markiert in gewisser Weise den Höhepunkt der Verwundbarkeitsanalyse. Hier verlassen wir das Feld der juristischen Hermeneutik und betreten das Terrain der harten technischen Fakten – und der totalitären Möglichkeiten. Zugleich bietet dieses letzte Kapitel, zusammen mit der Gesamtbetrachtung des Projekts, den Anlass für eine abschließende Abrechnung mit dem methodischen Ansatz des „Scholactivism“. Denn wer den Rechtsstaat retten will, indem er die Wissenschaft zur Waffe schmiedet, sägt an dem Ast, auf dem die Autorität des Rechts sitzt. I. Der gläserne Richter im Netz der Exekutive Die Analyse der digitalen Infrast...

Der Rechtsstaat im Stresstest: Eine kritische Würdigung des "Justiz-Projekts" (Teil 6)

Das digitale Panoptikum und das Elend des Scholactivism: Ein Schlussplädoyer für die Entpolitisierung der Justiz Zum Abschluss der kritischen Analyse des „Justiz-Projekts“ müssen wir den Blick von den verstaubten Aktenkellern der Personalabteilungen in den Serverraum der dritten Gewalt lenken. Das Kapitel zur IT-Infrastruktur, verantwortet von Lennart Laude und Janos Richter, markiert in gewisser Weise den Höhepunkt der Verwundbarkeitsanalyse. Hier verlassen wir das Feld der juristischen Hermeneutik und betreten das Terrain der harten technischen Fakten – und der totalitären Möglichkeiten. Zugleich bietet dieses letzte Kapitel, zusammen mit der Gesamtbetrachtung des Projekts, den Anlass für eine abschließende Abrechnung mit dem methodischen Ansatz des „Scholactivism“. Denn wer den Rechtsstaat retten will, indem er die Wissenschaft zur Waffe schmiedet, sägt an dem Ast, auf dem die Autorität des Rechts sitzt. I. Der gläserne Richter im Netz der Exekutive Die Analyse der digitalen Infrast...

Der Rechtsstaat im Stresstest: Eine kritische Würdigung des "Justiz-Projekts" (Teil 5)

Die Peitsche des Dienstherrn: Disziplinarrecht als Exerzierfeld politischer Säuberung Wenn das Zuckerbrot der Beförderung nicht wirkt, greift der Leviathan zur Peitsche. Das fünfte Kapitel unserer kritischen Exegese des „Justiz-Projekts“ wendet sich dem dunkelsten und zugleich sensibelsten Bereich der gerichtlichen Binnenorganisation zu: der Disziplinargewalt. Die Autorin Annika Perlebach liefert hierzu, unterstützt von Etienne Hanelt und Jonathan Schramm, eine Analyse, die in ihrer Nüchternheit erschüttert. Sie sezieren das deutsche Richterdienstrecht und fördern ein Arsenal an Instrumenten zutage, mit dem eine illiberale Exekutive die richterliche Unabhängigkeit nicht frontal brechen, aber doch empfindlich biegen könnte. Die Lektüre der Seiten 201 bis 220 dieses Kompendiums ist für jeden liberalen Rechtsstaatsfreund eine Mahnung zur Vorsicht. Doch sie ist auch ein Dokument einer bemerkenswerten politischen Einäugigkeit. Denn während die Autoren akribisch aufzeigen, wie eine fiktive „...

Der Rechtsstaat im Stresstest: Eine kritische Würdigung des "Justiz-Projekts" (Teil 4)

Die Architektur der Macht: Gerichtsorganisation als Herrschaftsinstrument der Exekutive Wer die Herrschaft über das Organigramm hat, beherrscht im Zweifel das Recht. Diese Dimension der Justizgewalt, das sogenannte Gerichtsorganisationsrecht, fristet in der akademischen Ausbildung zumeist ein Schattendasein. Es gilt als technisches Verwaltungshandeln, als dröge Materie für Ministerialbeamte. Das „Justiz-Projekt“ der Autoren Zillessen, Brandau und Laude leistet den großen Verdienst, diese scheinbare Harmlosigkeit als Illusion zu entlarven. Im vierten Teil unserer Analyse wenden wir uns jenen Kapiteln zu, die sich mit der „Gerichtsorganisation“ (S. 237 ff.) und den „Landesverfassungsgerichten“ (S. 65 ff.) befassen. Die Lektüre dieser Abschnitte ist für den zur Lektüre geneigten Verfassungsjuristen ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits besticht die kühle Analytik, mit der die Autoren aufzeigen, wie die Exekutive über Rechtsverordnungen und Zuständigkeitskonzentrationen den „gesetzlichen ...

Der Rechtsstaat im Stresstest: Eine kritische Würdigung des "Justiz-Projekts" (Teil 3)

Die goldene Leine der Exekutive: Das Haushaltsrecht als verkanntes Machtinstrument „Wer zahlt, schafft an.“ Diese banale Weisheit gilt, wenn man die verfassungsrechtliche Romantik beiseitelegt, auch im Verhältnis der Staatsgewalten. Das dritte große Kapitel des „Justiz-Projekts“ widmet sich dem wohl wirkmächtigsten, aber in der akademischen Debatte am stiefmütterlichsten behandelten Hebel der Justizsteuerung: dem Geld. Die Analyse, die Jakob Weickert und seine Mitstreiter hier vorlegen, ist von einer ernüchternden Klarheit. Sie demonstrieren, dass die Unabhängigkeit der Justiz dort endet, wo der Haushaltsplan beginnt. Für den liberalen Verfassungsstaat ist dieser Abschnitt eine Lektion in Realismus – und zugleich ein Dokument des Versagens der etablierten Politik, die Dritte Gewalt finanziell emanzipiert aufzustellen. I. Defunding als Schreckgespenst und Realität Das Szenario, das die Autoren entwerfen, ist beklemmend simpel: Ein autoritär-populistischer Justizminister nutzt die Hausha...

Der Rechtsstaat im Stresstest: Eine kritische Würdigung des "Justiz-Projekts" (Teil 2)

Die Kaperung der Personalpolitik: Wie die „Ochsentour“ zur Achillesferse des Rechtsstaats wird Wenn der Rechtsstaat fällt, dann nicht durch einen lauten Knall, sondern durch das leise Rascheln von Personalakten. Diese Einsicht durchzieht den zweiten großen Themenkomplex des „Justiz-Projekts“: die Richterernennung und die Personalentwicklung. In einer bemerkenswerten Tiefenbohrung legen die Autoren dar, wie eine autoritär-populistische Regierung die Schaltstellen der Justizverwaltung nutzen könnte, um die dritte Gewalt von innen heraus umzubauen. Die Lektüre der entsprechenden Passagen ist für jeden Kenner des deutschen Richterdienstrechts erhellend, gleichwohl aber auch von einer unfreiwilligen Ironie geprägt. Denn die Mechanismen, die das Projekt als Einfallstore für Extremisten identifiziert, sind keine Erfindungen dunkler Mächte. Sie sind die gewachsenen, von den etablierten Parteien über Jahrzehnte gepflegten Instrumente der politischen Ämterpatronage. I. Die „Wechselspur“ als syst...

Der Rechtsstaat im Stresstest: Eine kritische Würdigung des "Justiz-Projekts" (Teil 1)

Von der analytischen Beobachtung zum „zivilen Verfassungsschutz“: Methodenkritik einer politisierten Staatsrechtslehre Teile der deutschen Verfassungsrechtswissenschaft befinden sich in einer Phase großer Unruhe. Das jahrzehntelang kultivierte Selbstverständnis, wonach das Grundgesetz eine in sich ruhende, durch das Bundesverfassungsgericht autoritativ interpretierte Ordnung des Ausgleichs darstellt, weicht zunehmend einem Gefühl der Bedrohung. Die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) in den ostdeutschen Bundesländern und ihre Etablierung im bundesweiten Parteienspektrum haben eine Hektik im verfassungsrechtlichen Diskurs ausgelöst, die bisweilen die Grenze zur Panik touchiert. In diesem diskursiven Klima erscheint nun das sogenannte „Justiz-Projekt“ des Verfassungsblogs , herausgegeben von Friedrich Zillessen, Anna-Mira Brandau und Lennart Laude. Unter dem Titel „Verwundbarkeit und Resilienz der dritten Gewalt“ unternehmen die Autoren auf über 300 Seiten den Versuch, die ...