Zur Aufweichung der Schuldenbremse: Ein riskantes Manöver mit weitreichenden Folgen
Die Pläne von Union und SPD, in Sondersitzungen des scheidenden Bundestages weitreichende Grundgesetzänderungen durchzusetzen, werfen nicht nur verfassungsrechtliche, sondern auch demokratiepolitische und finanzpolitische Fragen auf. Mit einem historischen Finanzpaket, das die Schuldenbremse lockern, den Ländern mehr Spielraum für Investitionen geben und ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur schaffen soll, wird ein ambitioniertes Vorhaben verfolgt. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die Eile, mit der dieses Vorhaben verabschiedet werden soll, sowie die inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzentwurfs bergen erhebliche Risiken.
Verfassungsrechtliche Bedenken: Ein Präzedenzfall mit Langzeitwirkung
Zunächst ist die Verpackung der geplanten Grundgesetzänderungen in einen einzigen Gesetzentwurf kritisch zu hinterfragen. Die Abgeordneten stehen vor der Wahl, entweder dem gesamten Paket zuzustimmen oder es komplett abzulehnen. Eine differenzierte Abstimmung über die einzelnen Maßnahmen – etwa die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben, den Investitionsspielraum der Länder oder das Infrastruktur-Sondervermögen – ist damit ausgeschlossen. Dieses Vorgehen mag taktisch klug erscheinen, um eine schnelle Verabschiedung zu sichern, doch es schränkt die demokratische Willensbildung erheblich ein. Grundgesetzänderungen sind keine Lappalie; sie erfordern eine sorgfältige Abwägung und breite gesellschaftliche Debatte. Die Bündelung solch unterschiedlicher Vorhaben in einem einzigen Entwurf könnte zudem einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der künftige Regierungen dazu ermutigen könnte, ähnlich komplexe Reformen ohne ausreichende Diskussion durchzusetzen.
Auch die Begründung der Eile gibt Anlass zur Skepsis. Die Sondersitzungen finden in einem scheidenden Bundestag statt, der von den Bürgerinnen und Bürgern bereits abgewählt wurde. Dass ein solch weitreichendes Vorhaben nicht dem neu gewählten Parlament überlassen wird, das in wenigen Tagen seine Arbeit aufnimmt, wirft Fragen nach der demokratischen Legitimation auf. Ein Parlament, dessen Mandat faktisch erloschen ist, sollte sich auf die Verwaltung laufender Geschäfte beschränken und nicht Entscheidungen von solcher Tragweite fällen, die kommende Generationen binden.
Finanzpolitische Risiken: Schulden als Allheilmittel?
Inhaltlich ist insbesondere die geplante Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben kritisch zu betrachten. Die Begründung, dass die „Zeitenwende“ eine dauerhafte Stärkung der Bundeswehr erfordere, ist nachvollziehbar, insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der unsicheren geopolitischen Lage. Doch die Entscheidung, Verteidigungsausgaben dauerhaft von der Schuldenbremse auszunehmen, birgt die Gefahr einer schleichenden Aushöhlung dieses zentralen fiskalpolitischen Instruments. Die Schuldenbremse wurde eingeführt, um die Staatsfinanzen nachhaltig zu sichern und künftige Generationen nicht übermäßig zu belasten. Eine Ausnahme für Verteidigungsausgaben könnte als Türöffner dienen, um künftig auch andere Ausgabenbereiche – etwa Bildung, Klimaschutz oder Soziales – von der Schuldenbremse auszunehmen. Wo soll die Grenze gezogen werden?
Ähnliches gilt für das geplante Sondervermögen für die Infrastruktur. Die Notwendigkeit von Investitionen in Straßen, Schienen, Bildung und Dekarbonisierung ist unbestritten. Doch die Finanzierung über ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro, das von den Kreditobergrenzen der Schuldenbremse ausgenommen ist, wirft Fragen auf. Zum einen bleibt unklar, wie die Rückzahlung dieser Schulden langfristig gesichert werden soll. Zum anderen besteht die Gefahr, dass ein solches Sondervermögen als Präzedenz für weitere Ausnahmen genutzt wird, was die Schuldenbremse letztlich zur Makulatur machen könnte. Die Tatsache, dass die konkrete Mittelverwendung dem nächsten Bundestag überlassen werden soll, mag flexibel erscheinen, birgt jedoch das Risiko einer intransparenten und möglicherweise ineffizienten Verwendung der Gelder.
Föderale Spannungen: Mehr Spielraum für die Länder?
Auch die geplante Erweiterung des Verschuldungsspielraums der Länder um 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts ist nicht unproblematisch. Zwar ist der Investitionsbedarf der Länder und Kommunen unbestreitbar, insbesondere nach den Krisen der vergangenen Jahre. Doch die Einführung eines dauerhaften strukturellen Verschuldungsspielraums könnte die Haushaltsdisziplin der Länder untergraben. Es ist fraglich, ob die geplante Begrenzung auf 0,35 Prozent langfristig eingehalten wird, insbesondere wenn künftige Krisen weitere Ausnahmen rechtfertigen sollen. Zudem bleibt unklar, wie die Verteilung der Kreditaufnahmen auf die einzelnen Länder geregelt werden soll. Hier drohen föderale Spannungen, insbesondere zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern, die unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse haben.
Politische Taktik statt strategischer Weitsicht
Ein weiterer Kritikpunkt ist das taktisch motivierte Vorgehen von Union und SPD. Die Eile, mit der das Vorhaben vorangetrieben wird, sowie die Bündelung aller Maßnahmen in einem Gesetzentwurf deuten darauf hin, dass es weniger um eine strategische Lösung als um politische Machtdemonstration geht. Die Tatsache, dass die Zustimmung im Bundestag und Bundesrat ungewiss ist, zeigt, dass die notwendige breite Mehrheit keineswegs gesichert ist. Widerstand regt sich auch aus Reihen der Union, wie Apollo-News unter Bezug auf "The Pioneer" und die "WELT" meldet. Der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann kritisiert etwa seine eigene Partei für das Vorgehen: „Die ordnungsgemäße Beratung eines Gesetzes durch die Abgeordneten ist ein wichtiges Verfassungsgut. Das muss insbesondere für Grundgesetzänderungen gelten.“ Er hatte bereits 2023 gegen das zügige Gesetzgebungsverfahren für das Heizungsgesetz beim Bundesverfassungsgericht geklagt – und im Eilverfahren Recht bekommen. Es fehlte genug Zeit für die Parlamentarier, um das Gesetz auch zu lesen.
Fazit: Eile mit Weile
Das Vorhaben von Union und SPD mag in Teilen nachvollziehbare Ziele verfolgen, doch die Art und Weise der Umsetzung sowie die langfristigen Folgen geben Anlass zur Sorge. Grundgesetzänderungen erfordern eine sorgfältige Abwägung, eine breite gesellschaftliche Debatte und eine klare demokratische Legitimation – all das wird durch die geplanten Sondersitzungen eines scheidenden Parlaments untergraben. Finanzpolitisch droht eine schleichende Aushöhlung der Schuldenbremse, die langfristig die Haushaltsdisziplin und die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen gefährden könnte. Statt übereilter Entscheidungen wäre es sinnvoller, dieses komplexe Vorhaben dem neu gewählten Bundestag zu überlassen, der die notwendige Legitimation und Zeit für eine gründliche Beratung mitbringt. Nur so können nachhaltige und verantwortungsvolle Lösungen gefunden werden, die nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft im Blick haben.