Zur Aufweichung der Schuldenbremse: Ein riskantes Manöver mit weitreichenden Folgen

Die Pläne von Union und SPD, in Sondersitzungen des scheidenden Bundestages weitreichende Grundgesetzänderungen durchzusetzen, werfen nicht nur verfassungsrechtliche, sondern auch demokratiepolitische und finanzpolitische Fragen auf. Mit einem historischen Finanzpaket, das die Schuldenbremse lockern, den Ländern mehr Spielraum für Investitionen geben und ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur schaffen soll, wird ein ambitioniertes Vorhaben verfolgt. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die Eile, mit der dieses Vorhaben verabschiedet werden soll, sowie die inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzentwurfs bergen erhebliche Risiken. Verfassungsrechtliche Bedenken: Ein Präzedenzfall mit Langzeitwirkung Zunächst ist die Verpackung der geplanten Grundgesetzänderungen in einen einzigen Gesetzentwurf kritisch zu hinterfragen. Die Abgeordneten stehen vor der Wahl, entweder dem gesamten Paket zuzustimmen oder es komplett abzulehnen. Eine differenzierte Abstimm...

Zur Asyldebatte – Eine Replik an Patrick Heinemann von Marcus Seyfarth

Die Debatte um das Asylrecht in Deutschland ist mehr als eine juristische Auseinandersetzung über die Auslegung von Artikel 16a des Grundgesetzes (GG). Sie ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung über das Verhältnis von Recht und Politik, über die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung und über die Frage, wer in unserer Verfassungsordnung befugt ist, grundlegende Wertentscheidungen zu treffen. Das Interview, das Patrick Heinemann, Verwaltungsrechtler und Experte für Rechtsgeschichte ntv.de gegeben hat, bietet Anlass, diese grundsätzlichen Fragen zu beleuchten und seine Argumentation einer kritischen Würdigung durch unseren Chefredakteur Marcus Seyfarth, ebenso Experte im deutschen und europäischen Staats- und Verwaltungsrecht, zu unterziehen. Dieser Beitrag wird dabei zum Schauplatz eines argumentativen Kräftemessens, in der die einstigen Referendarskollegen Heinemann und Seyfarth ihre unterschiedlichen Ansichten in dieser hochbrisanten Debatte mit aller Schärfe öffentlich austragen. Für Fans von juristischen Streitigkeiten mit Sicherheit ein Spektakel!

Heinemanns Position, die sich vordergründig auf den Wortlaut des Grundgesetzes, die Beratungen im Parlamentarischen Rat und die Systematik des Grundgesetzes stützt, erweist sich bei näherer Betrachtung als eine verfassungsrechtliche Engführung, die unter anderem die historische Relativität von Grundrechtsverständnissen verkennt.

Im Zentrum der Kontroverse steht die Frage, ob generelle Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen zulässig sind oder nicht. Während Bundeskanzler Olaf Scholz pauschale Zurückweisungen als Verstoß gegen Europa- und Verfassungsrecht ablehnt, beruft sich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz auf die Notwendigkeit, die Kontrolle über die Migration zurückzugewinnen, und verweist dabei auf die Einordnung des Asylrechts durch den renommierten Historiker Heinrich August Winkler. Heinemann wiederum kritisiert Winkler als "fachfremd" und seine Argumente als "irreführend" und "irrelevant". Er betont, dass Artikel 16a GG ein individuelles Grundrecht auf Asyl gewähre und dass dieses Grundrecht durch das EU-Recht, insbesondere die Dublin-III-Verordnung, überlagert werde.

Diese Position, so eingängig sie auf den ersten Blick erscheinen mag, greift jedoch zu kurz. Sie blendet wesentliche Aspekte der Verfassungsgeschichte, der Verfassungstheorie und der Verfassungspraxis aus. Sie verkennt, dass Grundrechte nicht als unveränderliche, vom historischen Kontext losgelöste Gebilde existieren, sondern dass ihr Verständnis und ihre Reichweite einem stetigen Wandel unterworfen sind. Sie ignoriert aber auch die Bedeutung von Institutsgarantien, wie sie in Artikel 6 GG für die Ehe verankert sind, und die damit verbundene Begrenzung der Gesetzgebungskompetenz des einfachen Gesetzgebers. Und sie übersieht die grundsätzliche Frage, wer in unserer Verfassungsordnung – der Gesetzgeber, die Gerichte oder die Exekutive – befugt ist, grundlegende Wertentscheidungen im Bereich des Asylrechts und der Migration zu treffen.

Die Debatte um das Asylrecht ist untrennbar verbunden mit der Frage nach dem Wesensgehalt dieses Grundrechts. Was genau schützt Artikel 16a GG? Ist es ein umfassendes Recht auf Einreise und Aufenthalt für jeden, der sich auf politische Verfolgung beruft, oder ist es ein Schutz vor individueller, politischer Verfolgung im engeren Sinne? Diese Frage ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern hat weitreichende praktische Konsequenzen für die Migrationspolitik und die Handlungsfähigkeit des Staates.

Ein aufschlussreicher Vergleichspunkt für die Asyldebatte ist die Kontroverse um die Einführung der "Ehe für alle" durch einfaches Gesetz im Jahr 2017. Auch hier ging es um die Frage, ob der einfache Gesetzgeber befugt ist, grundlegende Strukturmerkmale eines grundrechtlich geschützten Instituts – in diesem Fall der Ehe – zu verändern, oder ob dies der verfassungsändernden Gewalt vorbehalten ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte in ständiger Rechtsprechung die Verschiedengeschlechtlichkeit als prägendes Merkmal der Ehe im Sinne des Artikels 6 GG angesehen. Dieses prägende Merkmal war, wie in einem früheren Beitrag von Seyfarth, "Warum die Ehe für Alle verfassungswidrig ist", ausführlich dargelegt, zugleich Teil einer Institutsgarantie. Die Ehe ist nicht nur ein einfaches Grundrecht, sondern ein durch Artikel 6 GG institutionell garantiertes Rechtsinstitut. Das bedeutet, dass bestimmte Strukturmerkmale, die den Kern der Ehe ausmachen, nicht durch den einfachen Gesetzgeber verändert werden können. Sie sind der verfassungsändernden Gewalt vorbehalten. Die Aufhebung der Verschiedengeschlechtlichkeit als wesentliches Strukturmerkmal der Ehe durch einfaches Gesetz stellt daher einen Verstoß gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes dar, einen Verfassungsbruch, der die Integrität unserer Verfassungsordnung in Frage stellt.

Die Parallele zur Asyldebatte liegt nicht nur in einer angeblichen inhaltlichen "Aushöhlung" beider Grundrechte, sondern auch darum, wer befugt ist, grundlegende Änderungen an grundrechtlich geschützten Instituten vorzunehmen. So wie der einfache Gesetzgeber nicht befugt war, die Ehe durch die Aufhebung der Verschiedengeschlechtlichkeit grundlegend umzudefinieren, so ist er auch nicht befugt, den Wesensgehalt des Asylrechts durch eine extensive Auslegung, die den ursprünglichen Sinn und Zweck des Grundrechts verfehlt, zu verändern oder durch politische Maßnahmen, die diesem Wesensgehalt zuwiderlaufen, faktisch auszuhöhlen.

Dieser Beitrag wird im Folgenden die Argumentation Patrick Heinemanns einer kritischen Analyse unterziehen und aufzeigen, dass seine verfassungsrechtliche Engführung die grundlegenden Fragen der Gesetzgebungskompetenz, der Institutsgarantie und der historischen Relativität des Grundrechtsverständnisses verkennt. Es wird dargelegt, dass die "Ehe für alle" einen Präzedenzfall für die Missachtung der Kompetenzordnung des Grundgesetzes darstellt und dass eine ähnliche Entwicklung im Bereich des Asylrechts verhindert werden muss, um die Integrität unserer Verfassungsordnung zu wahren. Es geht um nicht weniger als die Verteidigung der Grundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Frage, wer in unserem Staat das letzte Wort in grundlegenden Wertfragen hat: der einfache Gesetzgeber, die Gerichte, die Verfassung oder etwa die EU.

I. Historische Relativität, Wesensgehalt und die Usurpation der Verfassungsgebungskompetenz

Patrick Heinemanns Argumentation, die sich vordergründig auf den Wortlaut des Artikels 16a GG, die Beratungen im Parlamentarischen Rat und die Systematik des Grundgesetzes stützt, ist Ausdruck einer ahistorischen und formalistischen Rechtsauffassung, die die Dynamik des Verfassungslebens, die Bedeutung von Institutsgarantien und die strikte Trennung zwischen einfacher Gesetzgebung und Verfassungsgebung sowie die Bewahrung nationalstaatlicher Souveränität ignoriert.

Das Grundgesetz, und insbesondere das Asylrecht in Artikel 16a, ist kein zeitloses, abstraktes Gebilde. Es ist ein Produkt seiner Zeit, geprägt von den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur, der millionenfachen Vertreibung und der Teilung Deutschlands. Die Verfassungsväter und -mütter hatten ein klares Bild von politischer Verfolgung vor Augen, als sie das Asylrecht als individuelles Grundrecht konzipierten. Es sollte ein Bollwerk gegen staatliche Willkür sein, ein Schutz für diejenigen, die aus politischen Gründen in ihrem Heimatland verfolgt wurden. Es war nicht als Instrument einer ungesteuerten Masseneinwanderung gedacht, wie wir sie heute erleben. Die Vorstellung, dass jeder, der aus einem sogenannten "sicheren Drittstaat" einreist, ein automatisches Recht auf ein Asylverfahren haben sollte, unabhängig von der Frage, ob er tatsächlich politisch verfolgt wird, wäre den Schöpfern des Grundgesetzes mit Sicherheit fremd gewesen. Sie hätten eine solche Auslegung als eine Perversion des ursprünglichen Sinns und Zwecks des Asylrechts betrachtet.

Heinemanns Behauptung, es habe "immer" ein individuelles Grundrecht auf Asyl in der heutigen Form gegeben, ist daher nicht nur historisch unhaltbar, sondern auch verfassungsrechtlich irreführend. Sie ist eine unzulässige Verabsolutierung einer bestimmten Interpretation, die die historische Relativität des Grundrechtsverständnisses verkennt. Grundrechte sind keine statischen Größen; ihr Verständnis und ihre Reichweite unterliegen einem stetigen Wandel, der durch gesellschaftliche Entwicklungen, politische Entscheidungen und die Rechtsprechung geprägt wird.

Diese Relativität bedeutet jedoch nicht, dass Grundrechte beliebig veränderbar wären. Artikel 19 Absatz 2 GG setzt eine klare und unüberwindbare Grenze: Der Wesensgehalt eines Grundrechts darf in keinem Fall angetastet werden. Dies ist der entscheidende Punkt in der Asyldebatte, der von Heinemann und anderen Vertretern einer extensiven Auslegung des Asylrechts systematisch ignoriert oder relativiert wird. Die zentrale Frage ist: Was ist der Wesensgehalt des Asylrechts, und wer ist befugt, diesen Wesensgehalt verbindlich zu definieren?

Aus liberal-konservativer Sicht, die sich an der ursprünglichen Intention des Verfassungsgebers und der Systematik des Grundgesetzes orientiert, ist der Wesensgehalt des Asylrechts eindeutig: Es ist der Schutz vor individueller, politischer Verfolgung. Es geht um die Abwehr staatlicher Willkür und die Gewährleistung fundamentaler Menschenrechte für diejenigen, die in ihrem Heimatland aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihrer Religion oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe konkret und individuell bedroht sind. Das Asylrecht ist kein allgemeines Einwanderungsrecht. Es gewährt kein Recht auf Einreise aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen, und es beinhaltet kein Recht auf freie Wahl des Aufenthaltslandes. Eine solche Ausweitung des Asylrechts würde seinen Wesensgehalt aushöhlen und es zu einem Instrument der Migrationssteuerung machen, wofür es nie gedacht war. Sie würde das Asylrecht von einem Schutzrecht für politisch Verfolgte zu einem allgemeinen Einreiserecht für jedermann umdeuten – eine Umdeutung, die mit dem ursprünglichen Sinn und Zweck des Artikels 16a GG unvereinbar ist.

Die Einführung der "Ehe für alle" durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts im Jahr 2017, ohne dass bisher eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht stattgefunden hat, ist in diesem Zusammenhang von Interesse. Sie ist ein eklatantes Beispiel für die Missachtung der Kompetenzordnung des Grundgesetzes und die Usurpation der Verfassungsgebungskompetenz durch den einfachen Gesetzgeber. Das Bundesverfassungsgericht hatte in ständiger Rechtsprechung die Verschiedengeschlechtlichkeit als prägendes Merkmal der Ehe im Sinne des Artikels 6 GG angesehen. Dieses prägende Merkmal war jedoch, wie in dem angesprochenen Beitrag "Warum die Ehe für Alle verfassungswidrig ist" von Seyfarth ausführlich dargelegt, zugleich Teil einer Institutsgarantie. Die Ehe ist nicht nur ein einfaches Grundrecht, sondern ein durch Artikel 6 GG institutionell garantiertes Rechtsinstitut. Das bedeutet, dass bestimmte Strukturmerkmale, die den Kern der Ehe ausmachen, nicht durch den einfachen Gesetzgeber verändert werden können. Sie sind der verfassungsändernden Gewalt vorbehalten, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erfordert.

Die Verschiedengeschlechtlichkeit war ein solches wesentliches Strukturmerkmal der Ehe, das mit der Institutsgarantie des Art. 6 GG untrennbar verbunden war. Sie war nicht nur ein zufälliges oder historisch bedingtes Merkmal, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Ehe, wie sie im Grundgesetz verstanden wurde: als eine auf die Möglichkeit der Elternschaft und die Gründung einer Familie ausgerichtete Lebensgemeinschaft. Durch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wurde dieses Strukturmerkmal durch einfaches Gesetz beseitigt – ein klarer Verfassungsbruch, der die Integrität unserer Verfassungsordnung in Frage gestellt hat.

Die Parallele zur Asyldebatte liegt - wie eingangs erwähnt - nicht nur in einer angeblichen inhaltlichen "Aushöhlung" beider Grundrechte – obwohl auch beim Asylrecht eine solche Tendenz zu beobachten ist –, sondern in der Frage der Kompetenz. Es geht um die grundsätzliche Frage, wer befugt ist, grundlegende Änderungen an grundrechtlich geschützten Instituten vorzunehmen: der einfache Gesetzgeber oder die verfassungsändernde Gewalt. So wie der einfache Gesetzgeber nicht befugt war, die Ehe durch die Aufhebung der Verschiedengeschlechtlichkeit grundlegend umzudefinieren, so ist er auch nicht befugt, den Wesensgehalt des Asylrechts durch eine extensive Auslegung, die den ursprünglichen Sinn und Zweck des Grundrechts verfehlt, oder durch politische Maßnahmen, die diesem Wesensgehalt zuwiderlaufen, faktisch zu verändern. Die "Ehe für alle" ist ein Präzedenzfall für die Missachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen der Gesetzgebung und ein Weckruf, die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zu verteidigen – sowohl im Bereich der Ehe als auch im Bereich des Asyls.

Es geht nicht darum, das Asylrecht abzuschaffen oder die Rechte von Schutzsuchenden unverhältnismäßig zu beschneiden. Es geht darum, den Wesensgehalt des Asylrechts – den Schutz vor individueller politischer Verfolgung – zu bewahren und seine Anwendung im Einklang mit dem Grundgesetz und der ursprünglichen Intention des Verfassungsgebers zu gewährleisten. Eine ahistorische und formalistische Interpretation, wie sie Heinemann vertritt, verstellt den Blick auf die Notwendigkeit politischer Gestaltung innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen. Sie führt zu einer schleichenden Erosion der Grundrechte und einer Aushöhlung der Kompetenzordnung des Grundgesetzes. Die Expertise von Historikern wie Heinrich August Winkler, der die Entstehungsgeschichte und den ursprünglichen Sinn des Grundgesetzes kennt, ist daher von unschätzbarem Wert für eine sachliche und fundierte Debatte über die Zukunft des Asylrechts auch wenn seine rechtlichen Ausführungen nicht in Gänze zu überzeugen vermögen. Der einfache Gesetzgeber darf nicht zum Herren über die Grundrechte werden, und die Verfassung darf nicht zum Spielball politischer Opportunitäten verkommen.

II. Die Dublin-III-Verordnung: Spielräume für restriktivere Maßnahmen und die Grenzen der Auslegung

Patrick Heinemann stellt die Dublin-III-Verordnung als eine Art allumfassendes Regelwerk dar, das den Mitgliedstaaten kaum Spielraum für eigene asylpolitische Entscheidungen lässt. Diese Darstellung ist jedoch verkürzt und verkennt die inhärenten Spannungen und Auslegungsspielräume der Verordnung, die durchaus Möglichkeiten für restriktivere Maßnahmen, wie sie von Friedrich Merz und anderen gefordert werden, eröffnen. Es geht gerade darum, die Dublin-III-Verordnung im Lichte der nationalen Sicherheitsinteressen und der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Schutz der öffentlichen Ordnung auszulegen und anzuwenden.

Die Dublin-III-Verordnung legt Kriterien fest, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Das Hauptziel ist, zu verhindern, dass Asylbewerber in mehreren Staaten Anträge stellen ("Asyl-Shopping") und dass kein Staat für die Prüfung zuständig ist ("refugees in orbit"). Das System basiert auf einer Hierarchie von Kriterien, wobei das wichtigste Kriterium in der Regel der Staat der ersten Einreise ist (Art. 13).

Heinemann betont den Vorrang des EU-Rechts und die Überlagerung des nationalen Asylrechts durch die Dublin-III-Verordnung. Dies ist formal korrekt, aber es ist nicht das ganze Bild. Die Verordnung selbst enthält zahlreiche Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten Ermessensspielräume einräumen und die eine restriktivere Auslegung und Anwendung ermöglichen, ohne die Grundprinzipien des Systems zu verletzen.

Ein zentraler Punkt ist die Sicherheitsklausel in Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung. Diese Bestimmung erlaubt es einem Mitgliedstaat, einen Asylantrag selbst zu prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig wäre, wenn er der Auffassung ist, dass der eigentlich zuständige Staat keinen effektiven Schutz gewährt oder dass dort systemische Mängel im Asylverfahren bestehen. Diese Klausel ist nicht nur eine theoretische Möglichkeit, sondern eine praktische Handhabe, um die Überstellung von Asylbewerbern in Staaten zu verhindern, in denen ihnen möglicherweise unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht oder in denen ihre Asylanträge nicht ordnungsgemäß geprüft werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Auslegung des Begriffs der "illegalen Einreise" in Artikel 13. Die Verordnung knüpft die Zuständigkeit häufig an die erste illegale Einreise in das Gebiet der EU. Was aber genau unter "illegaler Einreise" zu verstehen ist, ist nicht abschließend definiert. Hier haben die Mitgliedstaaten einen erheblichen Auslegungsspielraum. Sie können beispielsweise festlegen, dass eine Einreise auch dann als "illegal" gilt, wenn sie zwar formal geduldet wurde, aber unter Verletzung nationaler Einreisebestimmungen erfolgte.

Darüber hinaus ermöglicht Artikel 17 der Verordnung den Mitgliedstaaten, in begründeten Ausnahmefällen von den Zuständigkeitskriterien abzuweichen und einen Asylantrag selbst zu prüfen ("Selbsteintrittsrecht"). Dieses Recht ist zwar nicht unbegrenzt, es bietet aber einen zusätzlichen Spielraum für nationale Entscheidungen, insbesondere in Fällen, in denen humanitäre Gründe oder besondere Bindungen des Asylbewerbers zu einem bestimmten Mitgliedstaat vorliegen.

Auch die Verfahrensgarantien der Dublin-III-Verordnung sind nicht absolut. Sie müssen im Lichte der nationalen Sicherheitsinteressen und der Notwendigkeit, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, ausgelegt werden. So ist es beispielsweise zulässig, Asylbewerber, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen, während des Dublin-Verfahrens in Gewahrsam zu nehmen (Art. 28). Auch die Fristen für die Überstellung von Asylbewerbern in den zuständigen Mitgliedstaat sind nicht starr, sondern können in begründeten Fällen verlängert werden.

Es geht also nicht darum, die Dublin-III-Verordnung zu umgehen, sondern darum, die inhärenten Spielräume der Verordnung zu nutzen, um eine effektive Steuerung der Migration zu ermöglichen und die Sicherheitsinteressen Deutschlands zu wahren. Dies erfordert eine restriktive, aber rechtmäßige Auslegung und Anwendung der Verordnung, die den Schutz der nationalen Grenzen und die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung in den Vordergrund stellt.

Die von Friedrich Merz und der Union geforderten Maßnahmen, wie beispielsweise verstärkte Kontrollen an den Binnengrenzen und Zurückweisungen von Asylbewerbern, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert sind, sind nicht per se unvereinbar mit der Dublin-III-Verordnung. Sie können im Rahmen der bestehenden Regelungen rechtlich abgesichert werden, wenn sie verhältnismäßig sind, die Verfahrensgarantien der Verordnung beachten und auf einer sorgfältigen Einzelfallprüfung beruhen. Es ist die Pflicht der Bundesregierung, die Spielräume der Dublin-III-Verordnung im Interesse Deutschlands zu nutzen und eine effektive Migrationspolitik zu betreiben, die den Schutz der Grundrechte und die Wahrung der nationalen Sicherheit in Einklang bringt. Eine pauschale Ablehnung restriktiverer Maßnahmen unter Verweis auf das EU-Recht, wie sie von Vertretern der SPD und Grünen suggeriert wird, ist daher verfehlt und verantwortungslos. Sie verkennt die rechtlichen Möglichkeiten und die politische Notwendigkeit, die Kontrolle über die Migration zurückzugewinnen.

III. Die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und die Notwendigkeit politischer Gestaltung im Rahmen der Dublin-III-Verordnung

Patrick Heinemann suggeriert, dass eine restriktivere Auslegung des Asylrechts, insbesondere im Kontext der Dublin-III-Verordnung, an "rechtswissenschaftlichen Standards" scheitern würde. Er unterstellt damit, dass die Rechtsprechung, insbesondere die des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), eine solche Auslegung von vornherein ausschließen würde. Diese Sichtweise ist jedoch zu kurz gegriffen und verkennt die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung sowie die Notwendigkeit politischer Gestaltung im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung.

Es ist unbestritten, dass die Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG das Asylrecht in den letzten Jahrzehnten maßgeblich geprägt hat. Insbesondere der EuGH hat durch seine Auslegung der Dublin-III-Verordnung und anderer EU-Rechtsakte den Spielraum der Mitgliedstaaten in einigen Bereichen eingeschränkt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Rechtsprechung statisch oder unveränderlich wäre. Auch Gerichte, selbst Höchstgerichte, sind an Recht und Gesetz gebunden (für das BVerfG: Art. 20 Abs. 3 GG). Ihre Aufgabe ist es, das geltende Recht auszulegen und anzuwenden, nicht, es nach eigenem Gutdünken zu schaffen oder zu verändern.

Die Rechtsprechung des EuGH zur Dublin-III-Verordnung ist nicht in Stein gemeißelt. Sie ist das Ergebnis eines fortlaufenden Prozesses der Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen, die selbst inhärent offen und auslegungsbedürftig sind. Die Verordnung enthält, wie in Abschnitt II dargelegt, zahlreiche Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten Ermessensspielräume einräumen und die eine restriktivere Auslegung und Anwendung ermöglichen. Es ist die Aufgabe und die Verantwortung der nationalen Regierungen und Parlamente, diese Spielräume im Interesse ihrer Bürger und im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu nutzen.

Die im politischen Diskurs aufgestellte Behauptung, dass eine restriktivere Auslegung der Dublin-III-Verordnung, wie sie von Friedrich Merz und der Union gefordert wird, "unvertretbar" sei, ist daher nicht haltbar. Sie ist Ausdruck einer politischen Präferenz, nicht einer zwingenden juristischen Notwendigkeit. Es gibt sehr wohl vertretbare juristische Argumente, die eine solche Auslegung stützen, insbesondere wenn man die Sicherheitsklausel (Art. 3 Abs. 2), das Selbsteintrittsrecht (Art. 17), die Auslegung des Begriffs der "illegalen Einreise" (Art. 13) und die Verfahrensgarantien (Art. 28) im Lichte der nationalen Sicherheitsinteressen und der Notwendigkeit, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, betrachtet.

Es ist zudem nicht Aufgabe der Gerichte, Politik zu machen. Ihre Aufgabe ist es, das geltende Recht unparteiisch und objektiv anzuwenden. Wenn die Politik zu dem Schluss kommt, dass die bestehenden Regelungen, einschließlich der Dublin-III-Verordnung, nicht ausreichen, um die Herausforderungen der Migration zu bewältigen, dann ist es ihre Pflicht, im Rahmen ihrer Kompetenzen und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen politische Lösungen zu suchen und gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen.

Dies bedeutet nicht, dass die Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG ignoriert werden könnte. Im Gegenteil: Die politischen Entscheidungsträger müssen die Rechtsprechung sorgfältig analysieren und berücksichtigen. Sie müssen aber auch bereit sein, die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung zu erkennen und politische Gestaltungsspielräume zu nutzen, um die Interessen Deutschlands zu wahren.

Doch die Dublin-III-Verordnung ist kein starres Korsett, das jede politische Initiative im Keim erstickt. Sie ist ein Rahmen, der innerhalb seiner Grenzen politische Gestaltung ermöglicht und sogar erfordert. Es ist die Aufgabe der Politik, diesen Rahmen auszufüllen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Migration zu steuern, die Sicherheit zu gewährleisten und die Akzeptanz des Asylrechts in der Bevölkerung zu erhalten.

Die Forderung nach einer Reform der Dublin-III-Verordnung, wie sie von vielen Seiten erhoben wird, ist berechtigt. Es ist jedoch nicht realistisch, auf eine solche Reform zu warten, bevor nationale Maßnahmen ergriffen werden. Die Verhandlungen auf EU-Ebene sind langwierig und kompliziert, und es ist ungewiss, ob und wann sie zu einem Ergebnis führen werden. Deutschland kann und darf nicht untätig bleiben, während die Herausforderungen der Migration weiter zunehmen.

Es ist daher notwendig, dass die Bundesregierung alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, um die Migration effektiv zu steuern und die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Dies erfordert eine kohärente und entschlossene Politik, die die Spielräume der Dublin-III-Verordnung konsequent nutzt, die Zusammenarbeit mit anderen EU-Mitgliedstaaten intensiviert und gegebenenfalls auch nationale Maßnahmen ergreift, die über die bestehenden Regelungen hinausgehen, sofern diese verhältnismäßig sind und die Grundrechte der Schutzsuchenden achten. Eine solche Politik ist nicht nur rechtlich möglich, sondern auch politisch geboten. Sie ist Ausdruck der staatlichen Verantwortung für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bürger und der Verpflichtung, die Grundfesten unserer Rechtsordnung zu schützen. Die pauschale Ablehnung restriktiverer Maßnahmen unter Verweis auf angebliche "rechtswissenschaftliche Standards" ist daher verantwortungslos und verkennt die dringende Notwendigkeit politischen Handelns.

IV. Fazit: Mut zur politischen Gestaltung im Rahmen der Verfassung – Für eine realistische und verantwortungsvolle Asylpolitik

Die Migrationskrise stellt Deutschland und Europa vor gewaltige Herausforderungen. Es ist unbestreitbar, dass das bestehende Asylsystem, insbesondere die Dublin-III-Verordnung, erhebliche Schwächen aufweist und reformbedürftig ist. Es ist jedoch ebenso unbestreitbar, dass Deutschland nicht tatenlos zusehen kann, wie die Kontrolle über die Migration zunehmend entgleitet und die Sicherheitsinteressen des Landes gefährdet werden. Patrick Heinemanns Versuch, eine restriktivere Asylpolitik mit dem Verweis auf angebliche "rechtswissenschaftliche Standards" und eine vermeintlich unveränderliche Rechtsprechung des EuGH zu verneinen, ist daher nicht nur verfehlt, sondern auch gefährlich. Er verkennt die inhärenten Spielräume der Dublin-III-Verordnung, die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und die Notwendigkeit politischer Gestaltung im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung.

Die Dublin-III-Verordnung ist kein starres Korsett, sondern ein Rahmen, der innerhalb seiner Grenzen politische Handlungsspielräume eröffnet. Diese Spielräume müssen konsequent genutzt werden, um eine effektive Steuerung der Migration zu ermöglichen und die Sicherheitsinteressen Deutschlands zu wahren. Dies erfordert eine restriktive, aber rechtmäßige Auslegung und Anwendung der Verordnung, die den Schutz der nationalen Grenzen, die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung und die Gewährleistung eines fairen und effizienten Asylverfahrens in den Vordergrund stellt.

Die von Friedrich Merz und der Union geforderten Maßnahmen, wie beispielsweise verstärkte Kontrollen an den Binnengrenzen, Zurückweisungen von Asylbewerbern, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert sind, und eine konsequentere Anwendung der Sicherheitsklausel, sind nicht per se unvereinbar mit der Dublin-III-Verordnung. Sie können im Rahmen der bestehenden Regelungen rechtlich abgesichert werden, wenn sie verhältnismäßig sind, die Verfahrensgarantien der Verordnung beachten und auf einer sorgfältigen Einzelfallprüfung beruhen. Es ist die Pflicht der Bundesregierung, diese Spielräume im Interesse Deutschlands zu nutzen und eine effektive Migrationspolitik zu betreiben, die den Schutz der Grundrechte und die Wahrung der nationalen Sicherheit in Einklang bringt.

Eine solche Politik erfordert Mut zur politischen Gestaltung und die Bereitschaft, sich von überholten Dogmen und einer falsch verstandenen Europarechtsgläubigkeit zu lösen. Es geht nicht darum, das Asylrecht abzuschaffen oder die Rechte von Schutzsuchenden zu missachten. Es geht darum, das Asylrecht in seinen ursprünglichen Grenzen zu bewahren und sicherzustellen, dass es tatsächlich denjenigen zugutekommt, die individueller politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Es geht darum, die staatliche Handlungsfähigkeit in Fragen der Migration wiederherzustellen und die Kontrolle über die eigenen Grenzen zurückzugewinnen.

Die Berufung auf eine vermeintlich unveränderliche Rechtsprechung des EuGH oder auf angebliche "rechtswissenschaftliche Standards", die eine restriktivere Politik von vornherein ausschließen würden, ist ein Ablenkungsmanöver. Es ist der Versuch, eine politische Debatte über die richtige Ausrichtung der Asylpolitik zu verhindern und die Verantwortung für politische Entscheidungen auf die Gerichte abzuschieben. Dies ist jedoch mit den Grundprinzipien unserer Demokratie und unserer Verfassungsordnung nicht vereinbar.

In einer Demokratie ist es die Aufgabe und die Verantwortung der gewählten Volksvertreter, die grundlegenden politischen Entscheidungen zu treffen, auch im Bereich des Asylrechts und der Migration. Die Gerichte haben die Aufgabe, das geltende Recht unparteiisch und objektiv anzuwenden, nicht, Politik zu machen. Wenn die Politik zu dem Schluss kommt, dass die bestehenden Regelungen nicht ausreichen, um die Herausforderungen der Migration zu bewältigen, dann ist es ihre Pflicht, im Rahmen ihrer Kompetenzen und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen politische Lösungen zu suchen und gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen.

Die Verteidigung der nationalen Interessen und die Wahrung der Sicherheit der Bürger sind keine Option, sondern eine verfassungsrechtliche Verpflichtung. Die Bundesregierung muss alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Dies erfordert eine klare politische Führung, eine kohärente Strategie und die Bereitschaft, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen. Eine realistische und verantwortungsvolle Asylpolitik muss den Schutz der Grundrechte und die Wahrung der nationalen Sicherheit in Einklang bringen. Sie muss effektiv, gerecht und verhältnismäßig sein. Sie muss auf einer sorgfältigen Abwägung der widerstreitenden Interessen beruhen und die Grenzen des rechtlich Möglichen ausloten. Sie darf sich nicht von ideologischen Scheuklappen oder einer falsch verstandenen Europarechtsgläubigkeit leiten lassen. Es ist an der Zeit, dass die Politik ihre Verantwortung wahrnimmt und mutige Entscheidungen trifft, um die Migrationskrise zu bewältigen und die Zukunft unseres Landes zu sichern. Die Dublin-III-Verordnung ist dabei nicht Hindernis, sondern Rahmen für politisches Handeln – ein Rahmen, der ausgefüllt werden muss, um die Interessen Deutschlands und seiner Bürger zu wahren.

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