Offener Brief an die Justizministerin MV: Wenn der Rechtsstaat versagt
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Als ehemaliger Mitarbeiter im öffentlichen Dienst Mecklenburg-Vorpommerns habe ich heute einen offenen Brief an unsere Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Die Linke) gerichtet. Die Entscheidung, diesen Schritt zu gehen, fiel mir leicht. Denn nach Jahren der Beobachtung und persönlicher Erfahrung mit unserem Justizsystem sehe ich keine Alternative mehr dazu.
Die Realität hinter der Fassade
Was ich in den vergangenen Jahren erleben musste, erschüttert nichts geringeres als das Fundament meines Vertrauens in unseren Rechtsstaat. Von der einfachen Sachbearbeitung bis hinauf zu den höchsten Gerichten des Landes herrscht eine Kultur der systematischen Arbeitsvermeidung - oftmals zu Lasten des Bürgers - und der Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien. Aktuelle Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts (1 M 253/24 OVG) und des Landessozialgerichts (L 8 AS 125/24 B ER) aus diesem Sommer belegen diese erschreckende Entwicklung und sind wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, welchen ich selbst wahrgenommen habe.
Ein System des Versagens
Besonders deutlich wird das systematische Versagen am Beispiel des Sozialgerichts Schwerin. In einem bemerkenswerten Fall sprach das Gericht evidentes Unrecht - eine Tatsache, die das Sozialgericht Karlsruhe in zwei Urteilen (S 12 AS 2208/22 und S 12 AS 2069/22) in Parallelfällen unmissverständlich dokumentierte. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 70 SGB II, die sogar im Bundestag diskutiert wurden (BT-Drs. 20/1768, S. 23 und S. 26), ignorierte man schlichtweg.
Mehrere weitere Verfahren am selben Gericht (Az. S 11 AS 37/22, S 11 AS 11/23, S 11 AS 248/22 und S 11 AS 274/23) zeigen ein Muster der Voreingenommenheit und der Ignoranz gegenüber dem Bürger. Dass Befangenheitsanträge in diesen Fällen systematisch scheitern und in einem Fall sogar nicht einmal vor dem Endurteil durch Beschluss entschieden wurde, entlarvt die Willkür in der praktischen Anwendung des Rechts.
Die politische Dimension
Besonders bitter ist die Untätigkeit der politisch Verantwortlichen die maßgeblichen Akteure zur Verantwortung zu ziehen. Die Linkspartei, der auch die Justizministerin angehört, hatte im Bundestag noch konkrete Maßnahmen zur Sicherung des Existenzminimums gefordert (BT-Drs. 20/100) und deutliche Kritik an § 70 SGB II geäußert. Doch wo bleibt das Einschreiten für die von ihnen hoch gehaltenen Ideale, wenn es zählt? Man sieht an dem Beispiel einmal wieder, dass in der Regierung die Ideale aus Zeiten der Opposition über Bord geworfen werden. Denn ein Eingreifen der Justizministerin wäre zumindest bei der strafrechtlichen Ahndung des Fehlurteils des SG Schwerin als Rechtsbeugung geboten gewesen, entsprechende Weisungsbefugnisse gegenüber der weisugnsgebundenden Staatsanwaltschaften, besitzt sie und wurde auch auf den Vorfall aufmerksam gemacht. Doch es tat sich: Nichts.
Reform tut not
In einem kürzlich veröffentlichten Beitrag im Grundgesetzblog habe ich die Einführung eines Straftatbestands des Amtsmissbrauchs vorgeschlagen. Die Erfahrungen mit der Verwaltung und der Justiz unseres Landes waren dabei mehr als nur Inspiration - sie waren der konkrete Anlass.
Ein Weckruf
Die gefährlichste Bedrohung für unseren Rechtsstaat kommt nicht von außen, sondern von innen. Wenn die Justiz zu einem reinen Machtinstrument verkommt, wenn Recht und Gerechtigkeit zur Farce werden, dann müssen wir handeln. Der öffentliche Dienst und die Justiz in Mecklenburg-Vorpommern sucht händeringend juristischen Nachwuchs - doch unter diesen Umständen kann man jungen Juristen nur raten, sich zweimal zu überlegen, ob sie Teil dieses Systems werden wollen.
Fazit
Dieser offene Brief ist mehr als nur Kritik - er ist ein Weckruf. Die systematischen Missstände in unserem Justizsystem müssen endlich beim Namen genannt und angegangen werden. Die Zeit des Wegschauens muss vorbei sein.
Der vollständige Brief wurde der Staatskanzlei heute zugestellt. Aus Gründen der Privatsphäre wurden einige Details in diesem Blogpost abstrahiert oder weggelassen.
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