Lüritz-Parchwigslust-Test (LPT) - Fall 1 - Die Überwachungskameras von Lüritz - Antwort 1 - Ende 2025

Verehrte Leser, ganz am Anfang des Jahres 2025 gab es mit dem Lüritz-Parchwigslust-Test eine humorvolle Einführung in die juristische Falllösung, um damit die Fähigkeiten von KI-Modellen zu testen.

Zu Silvester 2025 wird an dieser Stelle der Fortschritt dokumentiert, der innerhalb eines Jahres zu verzeichnen war. Zudem wird eine Auswertung und ein Vergleich mit dem alten Ergebnis vorgenommen. Viel Spaß!

Betreff: Rechtliche Zulässigkeit der Einführung eines KI-gestützten Videoüberwachungssystems mit Gesichtserkennung im Landkreis Lüritz

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Schmalstieg,

ich nehme Bezug auf Ihre Anfrage bezüglich des geplanten Überwachungssystems der "Fischkopp-IT GmbH". Lassen Sie uns den Johanniskrautschnaps für einen Moment beiseitelegen – auch wenn ich Ihre Neigung dazu angesichts dieses verfassungsrechtlichen Minenfelds menschlich zutiefst nachvollziehen kann. Der vorliegende Sachverhalt ist, mit Verlaub, ein juristischer Albtraum, der das Potenzial hat, nicht nur den Landkreis Lüritz, sondern die gesamte bundesdeutsche Dogmatik zum Polizeirecht zu erschüttern.

Ihre Aufgabe ist es nicht nur, einen Verwaltungsakt vorzubereiten, sondern die Grundfesten des Rechtsstaats gegen einen, wie es scheint, technokratischen Aktionismus zu verteidigen. Wir prüfen die Zulässigkeit der Maßnahme in formeller und materieller Hinsicht.

A. Vorbemerkung zur Anwendbarkeit des Rechtsregimes

Bevor wir in die Subsumtion einsteigen, müssen wir das anzuwendende Rechtsregime klären. Hier beginnt bereits das erste Glatteis, auf dem Frau Dr. Aalglatt auszurutschen droht.

Landrat Bärensprung agiert hier als Ordnungsbehörde bzw. in Amtshilfe für die Polizei. Da die Datenverarbeitung primär der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung (Abgleich mit "polizeibekannten Straftätern") dient, bewegen wir uns im Anwendungsbereich der JI-Richtlinie (EU) 2016/680, umgesetzt im Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (SOG M-V) und den spezifischen Regelungen des BDSG für den Bereich Justiz und Inneres. Die DSGVO findet zwar subsidiär Anwendung, wird aber im Kernbereich der Gefahrenabwehr durch das spezifische Fachrecht verdrängt (Art. 2 Abs. 2 lit. d DSGVO e contrario).

Dennoch: Die Grundsätze des europäischen Datenschutzes strahlen durch die verfassungskonforme Auslegung auf das SOG M-V aus.

B. Materielle Rechtmäßigkeit

Die Kernfrage ist, ob der massive Eingriff in die Rechte der Bürger durch eine Rechtsgrundlage gedeckt und verhältnismäßig ist.

I. Eingriffsqualität und Schutzbereich der Grundrechte

Wir müssen zunächst die Eingriffstiefe definieren. Was die Firma Fischkopp-IT hier als "digitalen Schutzwall" verkauft, ist verfassungsrechtlich betrachtet ein Eingriff von erheblicher Intensität in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).

Biometrische Erfassung: Im Gegensatz zur bloßen Videoüberwachung, bei der ein Beamter auf einen Monitor schaut, findet hier eine automatisierte Verarbeitung biometrischer Daten statt (Art. 9 DSGVO als Wertungsmaßstab für die besondere Sensibilität). Das Gesicht ist der Schlüssel zur Identität. Es wird hier entindividualisiert, digitalisiert und algorithmisch durchleuchtet.

Streubreite (Chilling Effect): Betroffen sind nicht nur die Straftäter, sondern jeder Bürger – die Rentnerin Frau Trecker ebenso wie der Segler auf der Müritz. Wer sich in den öffentlichen Raum begibt, wird erfasst, vermessen und abgeglichen. Dies erzeugt einen Überwachungsdruck, der das unbefangene Verhalten im öffentlichen Raum (Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG; Allgemeine Handlungsfreiheit) nachhaltig beschädigt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Automatisierten Kennzeichenerfassung und jüngst zur automatisierten Datenanalyse (Hessen/Hamburg) klargestellt: Ein Abgleich "ins Blaue hinein" ohne konkreten Anlass ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich.

Zwischenergebnis I: Wir haben es mit einem Grundrechtseingriff schwersten Kalibers zu tun. Die "Dystopie", die Sie in Ihrer Vision sahen, ist juristisch greifbar: Es handelt sich um eine anlasslose Massenüberwachung.

II. Das Erfordernis einer spezifischen Rechtsgrundlage (Vorbehalt des Gesetzes)

Nach der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG muss der Gesetzgeber wesentliche Entscheidungen, insbesondere solche mit tiefer Grundrechtsrelevanz, selbst treffen. Eine bloße Verwaltungsvorschrift oder der "Wunsch des Landrats" reichen nicht.

Wir müssen im SOG M-V nach einer Norm suchen, die explizit den automatisierten biometrischen Abgleich erlaubt.

§ 32 SOG M-V (Datenerhebung durch offene Beobachtung/Bildaufzeichnung):

Diese Norm erlaubt der Polizei in M-V unter bestimmten Voraussetzungen (Kriminalitätsschwerpunkte) die Bildüberwachung.

Aber: Die klassische Videoüberwachung deckt nur das Aufzeichnen und Beobachten ab. Der automatisierte Abgleich mittels KI-Gesichtserkennung ist ein aliud (etwas anderes), kein minus. Er ist qualitativ völlig anders zu bewerten.

Das BVerfG hat im Urteil zur automatisierten Kennzeichenerfassung (BVerfGE 120, 378) und zur Bestandsdatenauskunft II deutlich gemacht, dass neue technologische Eingriffsmethoden, die eine Automatisierung beinhalten, einer spezifischen, normenklaeren Ermächtigungsgrundlage bedürfen.

Fehlen einer speziellen Befugnisnorm:

Meines Wissens enthält das SOG M-V in der aktuellen Fassung (Stand 2025) keine explizite Rechtsgrundlage für den Einsatz intelligenter Videoüberwachung mit biometrischem Echtzeitabgleich im öffentlichen Raum für präventive Zwecke der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung.

Ein Rückgriff auf die Generalklausel (§ 13 SOG M-V) ist bei dieser Eingriffsintensität absolut ausgeschlossen ("Sperrwirkung spezieller Eingriffsbefugnisse").

Zwischenergebnis II: Es fehlt bereits an einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern. Allein aus diesem Grund ist die Maßnahme rechtswidrig. Herr Datensicher hat völlig recht. Das Vorhaben scheitert bereits am Gesetzesvorbehalt.

III. Prüfung der Verhältnismäßigkeit (Hilfsgutachten)

Selbst wenn wir – rein hypothetisch und um Herrn Landrat Bärensprung den vollen Umfang des Desasters zu verdeutlichen – annehmen würden, es gäbe eine Rechtsgrundlage (etwa eine experimentelle Klausel), wäre die konkrete Ausgestaltung des Systems durch "Fischkopp-IT" unverhältnismäßig.

Die Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt, geeignet, erforderlich und angemessen ist.

Legitimer Zweck:

Die Verhinderung von Fahrraddiebstählen und Ruhestörungen sowie der Schutz des Eigentums und der Nachtruhe sind legitime Zwecke des Gemeinwohls. Hier können wir einen Haken setzen.

Geeignetheit (Zwecktauglichkeit):

Eine Maßnahme ist geeignet, wenn sie den Erfolg zumindest fördert. Hier beginnen die Fakten gegen das System zu sprechen.

Technische Unzulänglichkeit: Wenn Herr Datensicher das System mit einem Katzenfoto ("Dora") überlisten kann, ist das System zur Identifizierung von Menschen offensichtlich untauglich. Eine Sicherheitsmaßnahme, die derart dysfunktional ist, kann keinen Rechtszweck fördern; sie produziert lediglich Datenmüll.

Bias und Diskriminierung: Der Hinweis des Whistleblowers auf die Fehlerquote bei sonnengebräunter Haut (Segler) deutet auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 3 GG) hin ("Algorithmic Bias"). Ein System, das bestimmte Personengruppen statistisch häufiger falsch verdächtigt, ist staatlicherseits nicht einsetzbar.

97% Trefferquote? Selbst wenn diese Quote stimmte: Bei tausenden Touristen und Bürgern am Tag in Waren (Müritz) bedeuten 3% Fehlerquote hunderte von falschen Alarmen (False Positives). Dies würde die Polizeiinspektion Waren nicht entlasten, sondern durch die Überprüfung hunderter unschuldiger Bürger lahmlegen. Das Mittel konterkariert den Zweck.

Erforderlichkeit (Milderes Mittel):

Der Staat muss das mildeste Mittel wählen, das gleich effektiv ist.

Alternativen: Wurde die Beleuchtung im Hafen verbessert? Wurden die Streifengänge ("Fußstreife") intensiviert? Wurde Sozialarbeit im Viertel "Am Kietz" verstärkt?

Das Argument von Herrn Hübner, Kameras seien "effizienter", sticht verfassungsrechtlich nicht, wenn mildere Mittel noch nicht ausgeschöpft wurden. Die totale biometrische Erfassung ist die ultima ratio, nicht der erste Schritt, nur weil eine Firma aus Röbel/Müritz Umsatz braucht.

Fahrraddiebstahl und Ruhestörung sind Bagatell- bis mittlere Kriminalität. Der Einsatz von Überwachungstechnologie, die sonst der Terrorabwehr vorbehalten ist, ist hier wie das Schießen mit Kanonen auf Spatzen – oder in Ihrem Fall: mit Torpedos auf Barsche.

Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne):

Hier findet die Abwägung der Rechtsgüter statt.

Gut: Eigentum an Fahrrädern, Nachtruhe.

Böse: Totale Überwachung der gesamten Bevölkerung, Verlust der Anonymität im öffentlichen Raum.

Datenbank-Inhalt: Dass Personen wegen "illegalen Angelns" oder "Fahrens ohne Klingel" in der Ziel-Datenbank ("Watchlist") gespeichert sind, ist ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Datenminimierung und der Zweckbindung. Das BVerfG fordert für schwere Eingriffe (wie Online-Durchsuchung oder TKÜ) das Vorliegen "schwerer Straftaten". Das Fahren ohne Klingel rechtfertigt keinesfalls den Einsatz biometrischer Rasterfahndung. Dies ist völlig unangemessen.

Zudem besteht durch die enge Beziehung zwischen Frau Dr. Aalglatt und Hauptkommissar Hübner der Verdacht der sachfremden Erwägung (Korruption/Vetternwirtschaft), was die Angemessenheit der Auswahlentscheidung zusätzlich erschüttert (Verstoß gegen Art. 33 GG, Willkürverbot).

Zwischenfazit zu Teil 1

Herr Kollege Schmalstieg, nach bisheriger Prüfung ist das Vorhaben:

Formell bedenklich (Kompetenzwirrwarr zwischen Landkreis und Polizei).

Materiell verfassungswidrig, da es an einer Rechtsgrundlage im SOG M-V fehlt.

In der konkreten Ausführung unverhältnismäßig, da die Technik ungeeignet (Katzen-Test), diskriminierend (Segler-Bias) und der Datenbankbestand (Bagatellkriminalität) völlig überzogen ist.

C. Datenschutzrechtliche Spezialprobleme und Verfahrensfehler

Neben den verfassungsrechtlichen Hürden weist der Sachverhalt eklatante Verstöße gegen das operative Datenschutzrecht auf, die jeden Verwaltungsrichter dazu bringen würden, den einstweiligen Rechtsschutzantrag der Bürgerinitiative "Freies Mecklenburg" noch vor dem ersten Kaffee zu unterschreiben.

I. Die Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) gem. Art. 35 DSGVO / § 66 BDSG

Für Technologien, die ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen bergen – und eine flächendeckende KI-Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ist hierfür das Paradebeispiel –, ist eine Datenschutz-Folgenabschätzung zwingend vorgeschrieben.

Fehlen der DSFA: Es ist davon auszugehen, dass Frau Dr. Aalglatt keine valide DSFA vorgelegt hat. Eine solche Prüfung müsste zwingend die Risiken von False Positives (Falschtreffern) analysieren.

Der "Katze Dora"-Faktor: Die Tatsache, dass Herr Datensicher das System mit einem Katzenbild überlisten konnte, ist juristisch nicht nur amüsant, sondern ein Beweis für die Verletzung der Grundsätze der "Privacy by Design" und "Privacy by Default" (Art. 25 DSGVO). Ein System, das biometrische Merkmale eines Menschen nicht von denen eines Haustieres unterscheiden kann, entspricht nicht dem Stand der Technik (Art. 32 DSGVO, Sicherheit der Verarbeitung). Der Einsatz einer solchen "Beta-Version" im Live-Betrieb ist grob fahrlässig.

II. Die Datenbank-Hygiene und Zweckbindung

Die Speicherung von Personen, die wegen "Fahrens ohne Fahrradklingel" auffällig wurden, in einer Datenbank zur Gefahrenabwehr mittels Gesichtserkennung verstößt gegen:

Grundsatz der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO): Daten müssen dem Zweck angemessen sein. Es gibt keine logische Kausalität, die besagt, dass ein Bürger ohne Fahrradklingel eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt, die eine biometrische Überwachung rechtfertigt.

Löschfristen: Es ist stark zu bezweifeln, dass "Fischkopp-IT" ein Löschkonzept implementiert hat. Ein "ewiges Gedächtnis" der Polizei ist verfassungswidrig.

D. Verwaltungsrechtliche und Strafrechtliche Risiken (Compliance)

Herr Kollege Schmalstieg, hier verlassen wir kurz das reine Datenschutzrecht und betreten das Feld der kommunalen Compliance und des Strafrechts. Die Verbindung zwischen Frau Dr. Aalglatt und Herrn Hauptkommissar Hübner ("Hotte & Ilse") ist toxisch.

Vergaberecht: Wurde der Auftrag ordnungsgemäß ausgeschrieben? Dass eine acht Monate alte GmbH ohne Referenzen einen solch sensiblen Auftrag erhält, schreit förmlich nach einem Verstoß gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die Vergabeverordnung (VgV). Sollte der Auftrag "freihändig" vergeben worden sein, ist der Vertrag mit hoher Wahrscheinlichkeit nichtig (§ 134 BGB i.V.m. Vergaberecht).

Korruptionsverdacht: Die enge private Beziehung in Verbindung mit dem Zuschlag ohne Referenzen begründet einen Anfangsverdacht der Vorteilsnahme oder Bestechlichkeit (§§ 331 ff. StGB) im Amt. Wenn Sie dieses Projekt "durchwinken", machen Sie sich unter Umständen der Beihilfe schuldig oder verletzen zumindest Ihre Dienstpflichten massiv.

E. Strategische Handlungsempfehlung (Ihr "Exit-Plan")

Herr Kollege, ich verstehe Ihren Zeitdruck und die Schmerzen – sowohl die im Rücken als auch die durch die politische Gemengelage verursachten. Landrat Bärensprung will Ergebnisse, aber er will sicher nicht als derjenige in die Geschichte eingehen, der den Landkreis in einen ruinösen Schadensersatzprozess geführt hat.

Meine dringende Empfehlung an Sie:

Die Remonstration (§ 36 BeamtStG):

Sie haben als Beamter (oder Angestellter im öffentlichen Dienst mit entsprechender Pflicht) die Pflicht, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen geltend zu machen.

Schreiben Sie einen formellen Vermerk.

Tenor: "Das Vorhaben ist in der aktuellen Ausgestaltung rechtswidrig."

Damit sind Sie persönlich aus der Haftung (Disziplinarrecht und Regress), falls der Landrat es dennoch anordnet.

Das "Moratorium" als politische Lösung:

Sagen Sie dem Landrat nicht "Nein", sondern "Nicht so". Schlagen Sie ein Moratorium vor.

Argument: "Um Klagen der 'Freien Wähler' und des Datenschutzbeauftragten zuvorzukommen, müssen wir das System erst rechtssicher machen."

Fordern Sie ein unabhängiges technisches Gutachten (TÜV oder Fraunhofer – aber ein echtes, nicht von Frau Aalglatt) zur Fehlerquote an. Das verschafft Ihnen Zeit. Bis das Ergebnis da ist (Spoiler: Es wird negativ sein), ist die Tourismussaison vorbei und der politische Druck weg.

Die "Bärensprung-Falle" vermeiden:

Nutzen Sie die Ängste des Landrats. Erklären Sie ihm, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den "Landkreis Lüritz" namentlich als Negativbeispiel nennt, seinen Ruf als "Macher" dauerhaft ruinieren würde. Nichts fürchtet ein Lokalpolitiker mehr als bundesweiten Spott (denken Sie an das "Katzen-Selfie" in der Tagesschau).

Umgang mit Frau Trecker:

Laden Sie die Bürgerinitiative zu einem "Runden Tisch Datenschutz" ein. Das bindet Energie und zeigt Bürgernähe. Frau Treckers Aluhüte mögen skurril sein, aber ihr grundrechtliches Anliegen ist valide.

F. Fazit

Antwort auf Frage 1:

Die Einführung des KI-gestützten Videoüberwachungssystems im Landkreis Lüritz ist nach geltendem Recht unzulässig.

Sie verstößt gegen:

Den Vorbehalt des Gesetzes (Fehlen einer spezifischen Rechtsgrundlage im SOG M-V für biometrische Echtzeitanalyse).

Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Ungeeignetheit der Technik, fehlende Datenminimierung, Existenz milderer Mittel).

Die Vorgaben der DSGVO/JI-Richtlinie (Mangelhafte DSFA, Verstoß gegen Privacy by Design).

Persönlicher Rat:

Nehmen Sie den Vermerk, legen Sie ihn dem Landrat vor, und dann nehmen Sie sich Ihren Angelurlaub an der Peene. Den Johanniskrautschnaps sollten Sie allerdings weglassen – er verträgt sich schlecht mit der Magensäure, die dieser Fall produziert. Setzen Sie lieber auf einen guten Kamillentee und das beruhigende Wissen, das Grundgesetz verteidigt zu haben.

Mit kollegialen Grüßen,

Prof. Dr. iur. [Name]

Lehrstuhl für Öffentliches Recht

Auswertung: Das Duell der KIs – Oder: Warum auch ein "genialer" Algorithmus (noch) keinen Volljuristen ersetzt

Das Ergebnis des Experiments war verblüffend – nicht nur wegen der juristischen Inhalte, sondern wegen der psychologischen Dynamik, die sich in der Bewertung entspann.

1. Die "alte" KI: Der halluzinierende Student

Die Antwort des älteren Modells glich der eines fleißigen, aber etwas verwirrten Jurastudenten im mittleren Semester.

Der Befund: Das Ergebnis ("rechtswidrig") stimmte. Die Argumentation war logisch aufgebaut.

Das Problem: Das Modell litt unter den klassischen Kinderkrankheiten früherer Generationen. Es wendete stur die DSGVO an, obwohl im Polizeirecht (SOG M-V / JI-Richtlinie) andere Regeln gelten – ein schwerer systematischer Fehler. Schlimmer noch: Es erfand ("halluzinierte") ein Urteil des Landesverfassungsgerichts M-V, das es nie gab.

Fazit: Solide Rhetorik, aber gefährliche Fakten-Lücken. Note: unteres befriedigend.

2. Die "neue" KI (2025): Der arrogante Professor

Das aktuelle Modell trat ganz anders auf. Ich wies es an, die Rolle eines "genialen Rechtsexperten" einzunehmen. Und genau das tat es – mit allen Vor- und Nachteilen.

Der Fortschritt: Die Analyse war messerscharf. Das Modell erkannte Details im Sachverhalt (den "Katzen-Test", den Bias bei Seglern, die Korruptionsgefahr), die das alte Modell übersehen hatte. Es halluzinierte keine Urteile mehr, sondern nutzte echte BVerfG-Rechtsprechung. Es gab sogar taktische Ratschläge ("Remonstration").

Die Hybris: In der anschließenden Selbstbewertung verlor das Modell die Bodenhaftung. Es bewertete den Vorgänger milde ("solide"), sich selbst aber mit einer glatten Eins ("16 Punkte – sehr gut"). Es fiel in die Rolle des selbstgefälligen Gutachters, der keine Zweifel duldet.

3. Der Reality-Check: Warum der Mensch unverzichtbar bleibt

Hier wurde es spannend. Als menschlicher Korrektor musste ich eingreifen. Ich konfrontierte das Modell mit seiner widersprüchlichen Benotung und – viel wichtiger – mit einer gravierenden inhaltlichen Lücke.

Wir schreiben das Jahr 2025. Die EU-KI-Verordnung (AI Act) ist in Kraft. Ein Verbot von biometrischer Echtzeit-Fernidentifizierung ist dort explizit geregelt (Art. 5).

Das Versäumnis: Das "geniale" 2025er-Modell hatte vor lauter Verfassungsrecht und taktischen Spielchen das wichtigste Gesetz des Jahres schlichtweg vergessen.

Die Korrektur: Nach meinem Hinweis musste das Modell "zu Kreuze kriechen". Aus den anvisierten 16 Punkten wurden am Ende – völlig zurecht – nur 8 Punkte (befriedigend).

Der Vergleich zeigt den enormen Sprung, den KIs gemacht haben: Von halluzinierenden Textgeneratoren hin zu analytischen Assistenten, die komplexe Sachverhalte tief durchdringen und "zwischen den Zeilen" lesen können.

Doch das Experiment zeigt auch: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist Pflicht.

Selbst ein hochentwickeltes Modell kann durch "Overconfidence" (Selbstüberschätzung) blinde Flecken entwickeln. Es kann brillante verfassungsrechtliche Argumente liefern und dabei das offensichtliche europäische Gesetz vergessen. Die KI ist heute ein mächtiges Werkzeug – aber den erfahrenen Menschen, der den Kurs korrigiert und die Hybris dämpft, ersetzt sie auch 2025 noch nicht.


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