Richterin als Verfassungsumgestalterin: Warum die Union Frauke Brosius-Gersdorf nicht tragen kann

Wenn das Grundgesetz zum Spielball ideologischer Neuordnung wird

Vorspiel: Die Preisgabe des Fundaments

Nach der gestrigen Analyse der grundlegenden Gefahr, die von einer politisierten Justiz für die Gewaltenteilung ausgeht, muss der Blick nun schonungslos vertiefend auf die Personalie gerichtet werden, die wie keine andere für diesen drohenden Systembruch steht: Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf. Ihre Nominierung durch die SPD ist kein gewöhnlicher parteipolitischer Vorschlag im Rahmen des etablierten Proporzes. Sie ist ein gezielter Angriff auf die Kernbestände unserer Verfassungsordnung und ein Test, wie weit die Erosion konservativ-liberaler Rechtsprinzipien bereits fortgeschritten ist. Für die CDU/CSU, die sich als Bewahrerin des Grundgesetzes versteht, stellt sich nicht die Frage ob, sondern wie entschieden sie dieser Kandidatur entgegentreten muss. Ihre Zustimmung wäre nicht weniger als eine Kapitulation vor den Kräften, die das Gericht als Hebel zur gesellschaftlichen Transformation missbrauchen wollen.

I. Der Tabubruch: Die Demontage der Menschenwürdegarantie

Das Fundament, auf dem die gesamte Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ruht, ist die unantastbare Würde des Menschen gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. In ständiger und gefestigter Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht daraus die Konsequenz gezogen, die die Lehre aus dem Totalitarismus des 20. Jahrhunderts gebietet: Menschenwürde kommt jedem menschlichen Leben von Anfang an zu. Es ist jener Schutzwall, der den Menschen vor staatlicher Verfügbarkeit und der Relativierung seines Existenzrechts bewahrt.

Frauke Brosius-Gersdorf unternimmt den Versuch, genau diesen Schutzwall einzureißen. In ihren eigenen, unmissverständlichen Worten, geäußert in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 10. Februar 2025, offenbarte sie ihre revolutionäre Agenda:

„Ob dem Embryo und später Fetus der Schutz der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes zukommt, das ist in der Tat in der Verfassungsrechtswissenschaft sehr umstritten. Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“

Diese Aussage ist kein juristisches Detail für Fachdebatten. Es ist ein verfassungsrechtlicher Dammbruch. Damit stellt sie sich nicht nur gegen die jahrzehntelange Linie des höchsten Gerichts, sondern greift die philosophische und historische Basis des Grundgesetzes an. Die Entkopplung von menschlichem Leben und Menschenwürde ist der erste Schritt auf einem Weg, den unser Grundgesetz bewusst für immer versperren wollte. Denn wer heute dem Ungeborenen die Würde abspricht, kann sie morgen dem Dementen, dem Behinderten oder dem Komatösen absprechen. Für eine Partei mit einem „C“ im Namen, die sich einem christlichen Menschenbild verpflichtet fühlt, kann die Unterstützung einer solchen Position nur als Verrat an den eigenen Grundüberzeugungen verstanden werden.

II. Die Richterin als Aktivistin: Vorbefassung als Disqualifikation

Die Unabhängigkeit eines Richters manifestiert sich nicht nur in seiner institutionellen Stellung, sondern vor allem in seiner geistigen Haltung. Er muss fähig und willens sein, den Fall unvoreingenommen zu prüfen, frei von politischen Vorfestlegungen. Brosius-Gersdorf hat öffentlich und wiederholt dokumentiert, dass sie diese Voraussetzung nicht erfüllt. In der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ vom 25. Juli 2024 positionierte sie sich unmissverständlich zu einem potenziellen Verfahren, über das sie in Karlsruhe selbst zu urteilen hätte:

„Wenn es genug Material gibt, wäre ich auch dafür, dass der Antrag auf ein Verbotsverfahren gestellt wird. Weil das ein ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie ist, dass sie sich gegen Verfassungsfeinde wehrt.“

Hier spricht nicht eine künftige neutrale Schiedsrichterin, sondern eine politische Akteurin, die das Recht als Waffe und das Gerichtsurteil als politisches „Signal“ versteht. Die wehrhafte Demokratie wird hier in ihr Gegenteil verkehrt: von einem Schutzmechanismus der Verfassung zu einem Instrument des politischen Kampfes. Ein Richter, der schon vor dem Verfahren den Ausgang als politisches Signal bewertet, hat sein Amt innerlich bereits aufgegeben. Die Union, die stets die Entpolitisierung der Justiz als hohes Gut verteidigt hat, würde sich selbst ins Lächerliche ziehen, wenn sie eine Kandidatin unterstützt, die ihre politische Agenda derart offen vor sich herträgt.

III. Die Agenda der Gesellschaftsumgestaltung: Ein Dreiklang der Intervention

Die Angriffe auf Lebensrecht und richterliche Neutralität sind keine Ausreißer, sondern fügen sich in ein konsistentes Programm, das darauf abzielt, das Bundesverfassungsgericht zur Speerspitze einer gesellschaftspolitischen Neuordnung zu machen. Drei weitere Positionen von Brosius-Gersdorf belegen dies eindrücklich:

Erstens ihre vehemente Befürwortung von Paritätsgesetzen. Ihre Verachtung für die verfassungsrechtlichen Hürden einer solchen Quotenregelung legte sie in einem Beitrag für den Verfassungsblog vom 24. Juli 2020 offen, in dem sie das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs attackierte:

„Die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs [...] ist ein herber Rückschlag für die verfassungsrechtlich gebotene effektive Gleichberechtigung von Frauen in der Politik. [...] Sie leidet an einem schweren Abwägungsdefizit zulasten des Verfassungsgebots der Gleichberechtigung [...].“

Ihre Kritik offenbart ein Rechtsverständnis, das politische Ziele über verfassungsrechtlich garantierte Freiheiten stellt. Die Organisationsfreiheit der Parteien und das passive Wahlrecht der Bürger werden zu zweitrangigen Gütern degradiert.

Zweitens ihre Haltung zum Kopftuch im Staatsdienst. Im Widerspruch zur etablierten Rechtsprechung zur Neutralitätspflicht erklärte sie in einem Interview mit der Legal Tribune Online am 20. Februar 2017 unumwunden:

„Ein pauschales Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen, aber auch für Lehrerinnen oder für Richterinnen, die ein Kopftuch tragen, ist aus unserer Sicht verfassungswidrig. Es verstößt nicht gegen das staatliche Neutralitätsgebot.“

Hier wird die Aushöhlung eines fundamentalen Prinzips des modernen Verfassungsstaates zur Maxime erhoben.

Drittens ihre Attacke auf das Ehegattensplitting. Auch hier schreckt sie nicht davor zurück, die jahrzehntelange Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu attackieren. Eine Pressemitteilung der Universität Potsdam vom 19. August 2013 fasst ihre These zusammen, das Splitting sei im Kern verfassungswidrig, denn:

„Das Ehegattensplitting, das die Ein-Verdiener-Ehe steuerlich privilegiert, verstößt gegen das Gebot, die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern.“

Selbst die vom Grundgesetz geschützte Institution der Ehe wird in ihrem Weltbild zum verfassungswidrigen Akt der Diskriminierung umgedeutet.

IV. Eine unzumutbare Wahl: Das Gebot des konservativen Widerspruchs

Für die CDU/CSU-Fraktionen in Bundestag und Bundesrat kann es angesichts dieses Gesamtbildes nur eine Konsequenz geben: die Verweigerung der Zustimmung. Frauke Brosius-Gersdorf steht für einen radikalen Bruch mit dem verfassungsrechtlichen Konsens, der die Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt hat. Ihre Positionen sind mit konservativ-liberalen Grundüberzeugungen unvereinbar. Eine Zustimmung im Namen eines faulen parteipolitischen Kompromisses wäre eine historische Fehlentscheidung. Die Union würde eine Richterin ins Amt heben, deren erklärtes Ziel es zu sein scheint, die Verfassung nicht zu hüten, sondern sie nach ihrer eigenen Ideologie umzugestalten. Nach Medienberichten soll ihre Wahl nach Willen der Union verschoben werden, auch um Plagiatsvorwürfe zu ihrer Doktorarbeit näher zu überprüfen, welche nun auch ihre fachliche Qualifikation in Frage stellen.

Epilog: Die Verteidigung des Rechts gegen seine Umdeuter

Die Wahl eines Bundesverfassungsrichters ist niemals nur eine Personalfrage. Sie ist ein Bekenntnis zur Verfassung, wie sie ist – oder der erste Schritt zu ihrer Demontage. Die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf ist die Nagelprobe. Die Abgeordneten der Union haben die Verantwortung, dem Versuch zu widerstehen, das höchste deutsche Gericht zu einem Avantgarde-Tribunal für gesellschaftliche Experimente zu machen. Die Zeit des Abwägens ist vorbei. Jetzt ist die Zeit des klaren und unmissverständlichen „Nein“.

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