Das Leipziger Trugbild: Wie das Bundesverwaltungsgericht den Rundfunkbeitrag immunisiert

Ein Kommentar von Ass. iur. Marcus Seyfarth, LL.M. Wer die heutige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Rundfunkbeitrag ( BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2025 - 6 C 5.24 ) mit dem gebotenen juristischen Scharfsinn analysiert, wird Zeuge eines Lehrstücks über die Diskrepanz zwischen formellem Recht und materieller Gerechtigkeit. Auf den ersten Blick scheint das Urteil einen lange überfälligen Sieg für den mündigen Bürger darzustellen, einen Paukenschlag gegen die administrative Bequemlichkeit, mit der die Beitragspflicht bisher durchgesetzt wurde. Das Gericht bestätigt in aller Deutlichkeit, was das Bundesverfassungsgericht bereits vorgezeichnet hat: Die Legitimität des Beitrags speist sich nicht aus der bloßen technischen Möglichkeit des Empfangs, sondern aus dem qualitativen Wert der angebotenen Gegenleistung – einem Programm, das den verfassungsrechtlich verankerten Geboten von Vielfalt und Ausgewogenheit genügt. Doch dieser scheinbare Triumph des Rechtsstaats entpuppt sich ...

Datenschutz vor Gericht? Das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO und ein besorgniserregendes Signal

In einer kürzlich ergangenen Entscheidung, die weitreichende Fragen für die effektive Durchsetzung des Datenschutzrechts in Deutschland vor Gerichten aufwirft, hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe den Antrag eines Bürgers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Bundesverfassungsgericht (!) zurückgewiesen (Beschl. v. 25.04.2025, Az. 3 K 506/25).

Der Antragsteller begehrte vorläufig die Herausgabe von Kopien seiner personenbezogenen Daten aus zahlreichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, gestützt auf Artikel 15 Absatz 3 der Datenschutz-Grundverordnung. Die Begründung des Verwaltungsgerichts offenbart jedoch eine problematische Rechtsauffassung, die im Widerspruch zur gefestigten, bindenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steht und den Schutz der Betroffenenrechte empfindlich schwächt.

Im Kern reduziert das Verwaltungsgericht den Anspruch auf eine Kopie nach Artikel 15 Absatz 3 DSGVO auf eine bloße „Modalität“ des allgemeinen Auskunftsrechts nach Artikel 15 Absatz 1 DSGVO. Es schließt sich damit der Argumentation der Antragsgegnerin, des Bundesverfassungsgerichts, an und befindet, die Übermittlung eines rudimentären „Vorstücks“ mit Metadaten genüge dem Anspruch. Diese Sichtweise ignoriert jedoch fundamental, was der Europäische Gerichtshof, der letztverbindliche Interpret der DSGVO, erst im Jahr 2023 in wegweisenden Entscheidungen unmissverständlich klargestellt hat. Der EuGH betonte in der Rechtssache C-487/21 (Österreichische Datenschutzbehörde), dass Artikel 15 Absatz 3 DSGVO ein eigenständiges Recht auf eine „originalgetreue und verständliche Reproduktion“ der Daten selbst verleiht. Es geht gerade nicht nur um Informationen über die Daten, sondern um die Daten selbst, um deren Rechtmäßigkeit und Richtigkeit effektiv überprüfen zu können – eine Überprüfung, die das Verwaltungsgericht Karlsruhe in seiner Entscheidung auf Seite 3 sogar als nicht vom Auskunftsrecht umfasst bezeichnet, was in direktem Gegensatz zur Intention des EuGH steht. Wie aber soll ein Betroffener seine Rechte auf Berichtigung (Art. 16), Löschung (Art. 17) oder gar Schadensersatz (Art. 82) effektiv wahrnehmen, wenn ihm der Zugang zu den konkret verarbeiteten Daten in ihrer ursprünglichen Form verwehrt wird?

Noch problematischer wird die Argumentation des Verwaltungsgerichts, wenn es nationalem Verfahrensrecht, hier § 35b des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, einen Vorrang vor der unmittelbar geltenden DSGVO einräumt. Das Gericht behandelt § 35b BVerfGG faktisch als eine lex specialis, die Artikel 15 DSGVO für abgeschlossene Verfahren verdränge. Dies stellt eine klare Verletzung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts dar. Nationales Recht kann Unionsrecht nicht einfach verdrängen; es kann Betroffenenrechte allenfalls unter den strengen Voraussetzungen des Artikels 23 DSGVO einschränken, was hier vom Gericht nicht einmal geprüft wird. Die pauschale Verweisung auf ein nationales Akteneinsichtsrecht, das zudem Kostenpflicht und die Darlegung eines besonderen berechtigten Interesses vorsieht, läuft dem Geist und Buchstaben der DSGVO – dem einfachen, transparenten und grundsätzlich kostenfreien Zugang zu den eigenen Daten – diametral zuwider.

Ebenso unzureichend befasst sich das Gericht mit dem Anordnungsgrund, der Dringlichkeit des Anliegens. Es wischt die massive, unstreitige Verletzung der Monatsfrist des Artikels 12 Absatz 3 DSGVO durch die Antragsgegnerin als nicht ausreichend beiseite. Es ignoriert den fortdauernden Kontrollverlust des Antragstellers über seine seit 2011 verarbeiteten Daten – ein Zustand, den der EuGH in seiner Rechtsprechung zu Artikel 82 DSGVO (vgl. C-300/21, C-200/23, C-590/22) ausdrücklich als potenziell ersatzfähigen immateriellen Schaden anerkennt, für den keine Erheblichkeitsschwelle gilt. Wenn aber der Verlust der Kontrolle über die eigenen Daten bereits einen relevanten Nachteil darstellt, wie kann dann die gerichtliche Abhilfe zur Beendigung dieses Zustands als nicht eilbedürftig angesehen werden?

Die Konsequenz dieser fehlerhaften Rechtsanwendung ist nicht nur die Ablehnung des Eilantrags, sondern auch die Versagung von Prozesskostenhilfe, dem die Erfolgsaussichten abgesprochen wurden. Dem Antragsteller, der nachweislich mittellos ist, wird damit faktisch der Zugang zum effektiven Rechtsschutz verwehrt – ein Ergebnis, das mit dem Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit kaum vereinbar ist, insbesondere wenn man die Komplexität der Materie und die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Fragen bedenkt.

Es ist mehr als nur bedauerlich, wenn ein Verwaltungsgericht die klare Linie des Europäischen Gerichtshofs zum zentralen Auskunfts- und Kopierecht der DSGVO derart verkennt und nationalen Partikularinteressen – hier verkörpert durch die Verfahrensordnung des als Antragsgegner auftretenden Bundesverfassungsgerichts – Vorrang vor fundamentalen europäischen Grundrechten einräumt. Diese Entscheidung sendet ein besorgniserregendes Signal für den Datenschutz in Deutschland und lässt hoffen, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Beschwerdeverfahren die notwendigen Korrekturen vornimmt und dem Unionsrecht wieder Geltung verschafft. Der Schutz personenbezogener Daten darf nicht an der Gerichtspforte enden, schon gar nicht, wenn der Antragsgegner selbst der Hüter der Verfassung ist, hier aber mehrfach europarechtswidrig gehandelt hat.

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