Zur Reform des Bundesverfassungsgerichts: Reform oder Reförmchen? Die Parteien zementieren ihren Einfluss – Eine kritische Analyse

Der Deutsche Bundestag hat am 19. Dezember 2024 mit einer Einigkeit, die in diesen zerrissenen Zeiten fast schon unheimlich anmutet, eine Änderung des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes  beschlossen . Einhellig, so wird uns weisgemacht, wolle man das Bundesverfassungsgericht stärken. SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und sogar die Linke – sie alle stimmten einträchtig zu. Nur die AfD, in ihrer Rolle als ewiger Störenfried, wagte es, mit Nein zu votieren. Eine große Koalition der Macht, so scheint es, hat sich hier zusammengefunden. Aber wozu? Um den Rechtsstaat zu stärken? Oder um die eigenen Pfründe zu sichern? Ein genauerer Blick auf diese sogenannte Reform lässt jedenfalls erhebliche Zweifel an den hehren Motiven der Parteien aufkommen. Diese Reform ist kein Meisterstück der Gesetzgebung, sondern ein fauler Kompromiss, ein Feigenblatt, das die eigentlichen Probleme nur notdürftig verdeckt. Man könnte auch deutlicher sagen: Die etablierten Parteien haben sich wieder e...

Kontaktschuld und Cancel-Culture: Der Fall Vosgerau und die Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit

Das Nachrichtenportal NIUS berichtete am 1. Oktober 2024 über eine Kontroverse um den Staatsrechtler Ulrich Vosgerau und den Versuch, ihn aus der „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer“ zu drängen. Dies bietet einen tiefen Einblick in die Mechanismen der modernen "Cancel-Culture" und den problematischen Umgang mit dem Konzept der Kontaktschuld. Dieses Vorgehen verdient scharfe Kritik, nicht nur aus Sicht der Wissenschaftsfreiheit, sondern auch im Hinblick auf die verengende Wirkung solcher Denkweisen auf den öffentlichen Diskurs.


Der Beitrag knüpft damit nahtlos an den kritischen Kommentar zum Portal "Verfassungsblog" an. Denn auch am Fall Vosgerau wird deutlich, wie in Deutschland nunmehr Haltungs-Rechtswissenschaft betrieben wird.

Der Antrag der acht Staatsrechtslehrer, angeführt von der ehemaligen Bundesverfassungsrichterin Gabriele Britz (daneben federführend: Pascale Cancik, Klaus Ferdinand Gärditz, Matthias Jestaedt, Florian Meinel, Christoph Möllers, Christoph Schönberger und Jelena von Achenbach), Vosgerau aufgrund seiner vermeintlichen Nähe zu rechtsextremen Kräften zu sanktionieren, beruht auf einer zweifelhaften Argumentation: Es wird behauptet, dass Vosgeraus bloße Anwesenheit bei einem Treffen, bei dem auch der umstrittene österreichische Aktivist Martin Sellner anwesend war, seine wissenschaftliche Expertise diskreditiert und ihn in die Nähe rechtsextremer Ideen rückt. Diese Behauptung, eine klassische Form der „Kontaktschuld“, ist jedoch sowohl juristisch als auch intellektuell höchst fragwürdig. Schon in früheren gerichtlichen Auseinandersetzungen zur Berichterstattung über seine Anwesenheit in Potsdam war Vosgerau im Übrigen teilweise erfolgreich, wie NIUS berichtet.

Die Idee der Kontaktschuld besagt, dass allein die Verbindung zu bestimmten Personen oder Gruppierungen ausreicht, um jemanden moralisch oder politisch zu belasten. Sie ist in ihrer Wirkung ein scharfes Schwert, das jedoch oft unscharf geführt wird – wie auch in diesem Fall. Es werden keine konkreten Beweise dafür vorgelegt, dass Vosgerau aktiv an der Förderung rechtsextremer Ideen beteiligt war. Vielmehr wird seine bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung als Beweis für seine angebliche Nähe zu solchen Kräften interpretiert. Dieses Vorgehen ist nicht nur unfair, sondern gefährlich. Es schafft einen Präzedenzfall, in dem Wissenschaftler nicht mehr nach ihren Ideen und Argumenten, sondern nach ihren persönlichen Kontakten beurteilt werden.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit dieses Vorgehen der Antragsteller Ausdruck einer breiteren Strömung innerhalb der Rechtswissenschaft ist, die ich als „Haltungs-Rechtswissenschaft“ bezeichnet habe. Diese Tendenz, wissenschaftliche Debatten durch in rechtliche Positionen verkleidete politisch-moralischen Bekenntnisse zu ersetzen, führt dazu, dass der Raum für kontroverse, aber notwendige Diskussionen zunehmend eingeengt wird. Wissenschaft lebt von der Auseinandersetzung mit verschiedenen, auch unbequemen Positionen. Wenn jedoch schon der bloße Kontakt zu „problematischen“ Personen als Grund für ein Rausdrängen aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft gewertet wird, dann wird diese Auseinandersetzung unmöglich gemacht.

Das Verhalten der Antragsteller ist ein Paradebeispiel für Cancel-Culture in einem akademischen Umfeld. Statt sich mit den Argumenten und Positionen Vosgeraus inhaltlich auseinanderzusetzen, wird versucht, ihn durch soziale Isolation und öffentliche Diskreditierung mundtot zu machen. Dies ist nicht nur ein Angriff auf die Person Vosgerau, sondern auch auf das Prinzip der Wissenschaftsfreiheit. Die Freiheit, auch unbequeme oder kontroverse Positionen zu vertreten, ist ein grundlegendes Element der Wissenschaft und darf nicht durch politisch-moralische Verdikte eingeschränkt werden.

Ich halte es für dringend notwendig, dass sich die akademische Gemeinschaft gegen diese Entwicklungen wehrt. Die Gefahr, dass wissenschaftliche Debatten durch moralische oder politische Erwägungen erstickt werden, ist real und erinnert an dunkle Zeiten in der deutschen Geschichte. Eine Wissenschaft, die nur noch Positionen zulässt, die mit dem jeweils herrschenden moralischen oder politischen Konsens übereinstimmen, verliert ihre Funktion als kritisches Korrektiv in der Gesellschaft. Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer sollte vielmehr die Institution sein, welche die Wissenschaftsfreiheit verteidigt, anstatt sich in den Dienst der Cancel-Culture zu stellen und politischen Aktivismus im Stile von Woko Haram zu betreiben. Jener Begriff, der diese spezielle links-grüne Aktivistenblase bezeichnet, die sich selbstüberhöhend als Bewahrer der Tugend geriert, stellt dabei treffend den undemokratischen, dogmatischen und aggressiven Charakter jener Bewegung heraus. Die von den Unterzeichnern zu Tage getretene Haltung steht vielmehr im Widerspruch zu dem, was Wissenschaft ausmacht. Die Unterzeichner diskreditieren damit sich und die Staatsrechtslehre selbst. Wollen wir hoffen, dass der Antrag abgelehnt wird.

Quelle: NIUS

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