Zum Vorlagebeschluss des VG Osnabrück wegen einrichtungsbezogener Impfpflicht
- Link abrufen
- Andere Apps
Zuletzt haben wir wegen allerlei erlebter Widersinnigkeiten durch furchtbare Juristen gegenüber der Justiz viel Kritik ausgeteilt, da möchten wir heute zur Abwechslung auch einmal eine Entscheidung lobend herausheben, die den dort kritisierten Kollegen aufzeigt, wie Rechtsfindung mit etwas Courage aussehen sollte.
In einem bemerkenswerten Akt juristischer Selbstbehauptung hat das Verwaltungsgericht Osnabrück nämlich den Mut bewiesen, die längst überfällige Frage aufzuwerfen: War die einrichtungsbezogene Impfpflicht, wie sie in § 20a des Infektionsschutzgesetzes festgelegt wurde, jemals verfassungsgemäß? Oder hat sich der deutsche Gesetzgeber durch politische Einflussnahme auf das Robert-Koch-Institut (RKI) selbst in die Irre geführt oder wurde der Gesetzgeber sogar mangels rechtzeitiger Information getäuscht? Eine Frage, die mit schwerwiegenden Konsequenzen verbunden ist – für unser Rechtssystem, für die Betroffenen, und für die Glaubwürdigkeit des Staates. Dass nun das Bundesverfassungsgericht über diese Frage erneut entscheiden und Farbe bekennen muss, ist bereits ein kleiner Sieg für den Rechtsstaat.
Die Entscheidung des VG Osnabrück (Beschl. v. 03.09.2024, Az. 3 A 224/22) markiert einen Wendepunkt. Die Tatsache, dass eine Pflegehelferin, deren Recht auf körperliche Unversehrtheit und Berufsfreiheit nach Art. 2 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 1 GG bedroht war, nun Gehör findet, zeugt von einem tiefen Verständnis für die Grundrechte unseres Verfassungsstaats. Die Verwaltungsrichter haben sich nicht damit begnügt, auf die frühere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2022 zu verweisen (1 BvR 2649/21; vgl. auch den Kommentar von Seylaw zu einem anderen Corona-Verfahren), in dem das höchste deutsche Gericht sich gerade auf die Unabhängigkeit des RKI berufen hatte und die wissenschaftliche Evidenz deren Erkenntnisse nicht in Frage stellte (a.a.O., Rn. 160).
Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat nun aber genauer hingeschaut, in die mittlerweile durch den Journalisten Paul Schreyer vom Magazin Multipolar freigeklagten RKI-Protokolle – und was sie dort fanden, ist nichts Geringeres als eine Erschütterung der gesamten Faktenlage. Multipolar berichtet über das Verfahren: "Der Vorsitzende Richter Gert-Arnim Neuhäuser, zugleich Präsident des Osnabrücker Verwaltungsgerichts, erklärte zum Ende der Verhandlung, das RKI habe möglicherweise eine Vorstellung von Wissenschaftlichkeit und von politischer Einflussnahme, die sich nicht mit der eines Verwaltungsjuristen decke. Und weiter: „Die Kammer hat nicht bloß Zweifel, sie ist überzeugt, dass bestimmte Grundrechtseingriffe in der Pandemie verfassungswidrig waren.“ Daher werde das Verfahren der Pflegehelferin nun ausgesetzt und zur Überprüfung zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe verwiesen."
Es sind einmal mehr die Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts, die das Vertrauen in die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung zutiefst erschüttern. Was für ein Desaster für den Gesetzgeber! Das Vertrauen in das Robert-Koch-Institut, das als wissenschaftliche Autorität Grundlage für allerhand weitreichender Maßnahmen diente, wurde nachweislich überstrapaziert. Der bloße Verdacht, dass das RKI seiner Informationspflicht gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit nicht in vollem Umfang nachgekommen ist, wirft ein dunkles Licht auf das gesamte Kapitel. Wie soll der Bürger Vertrauen in den Staat und seine Institutionen haben, wenn derartige Versäumnisse an den Tag treten?
Was uns an dieser Entscheidung besonders beeindruckt, ist die Klarheit, mit der das Gericht die Verfassungsmäßigkeit der Norm hinterfragt. § 20a IfSG sei, so die Kammer, „in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen“. Welch prägnanter Ausdruck! Er verdeutlicht die Dynamik, die ein Gesetz durchläuft, wenn es der fortschreitenden Entwicklung der Wissenschaft und den sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen nicht standhält. Das Verwaltungsgericht hat auch verstanden, dass es nicht seine Aufgabe ist, eine solche Norm selbst zu verwerfen – dies obliegt dem Bundesverfassungsgericht. Aber es hat seine Pflicht getan, indem es die Vorlage nach Karlsruhe geschickt hat.
Wir dürfen nicht vergessen: Es geht hier um mehr als um die Rechte einer einzelnen Pflegehelferin. Es geht um das Vertrauen in den Rechtsstaat, um die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Institutionen und um die Verantwortung des Gesetzgebers, seine Normen an den aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung anzupassen. Der Gesetzgeber darf sich nicht hinter der vermeintlichen Weisheit von Expertengremien verstecken, sondern muss kritisch hinterfragen, ob diese Weisheit auch noch gilt, wenn neue Erkenntnisse ans Licht kommen.
Die Entscheidung des VG Osnabrück ist ein kraftvolles Signal: Der Rechtsstaat lebt, solange Richter den Mut haben, unbequeme Fragen zu stellen und das Gebotene tun.
- Link abrufen
- Andere Apps