Der Verlust der Unabhängigkeit – Wie das Bundesverfassungsgericht seine Schutzfunktion verspielt

Manchmal genügen ein paar Worte, um ein tieferliegendes Problem zu entlarven. Ein Zitat von Doris König, Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, vermittelt genau diese Einsicht: „Viele Menschen scheinen von der Komplexität der Problemlagen überfordert zu sein, auch von der Rechtslage.“ Ein Satz, der offenlegt, wie weit einige der höchsten Richterinnen und Richter unseres Landes vom Volk entfernt sind – und vor allem, was sie vom mündigen Bürger halten. Doris König ist keine gewöhnliche Stimme im Chor der Hochnäsigen; sie ist die Spitze des Zweiten Senats des höchsten deutschen Gerichts. Eine Institution, die geschaffen wurde, um den Bürger vor staatlicher Übermacht zu schützen. Doch König scheint einen anderen Kurs eingeschlagen zu haben – einen, der den Schutz der Grundrechte nicht mehr im Mittelpunkt sieht, sondern im Zweifel auf die Macht der Regierung vertraut. In einem Interview mit der „ Rheinischen Post “ äußert sie: „Denken Sie an die Corona-Rechtsprechung, die ich absol

Das Bundesverfassungsgericht: Hüter der Verfassung oder Hüter des Status Quo?

Jährlich werden über 5000 Verfassungsbeschwerden vom Bundesverfassungsgericht mit einem kurzen Nichtannahmebeschluss abgewiesen – ohne Begründung. Ein solcher ist der stille Tod für die Hoffnungen und den Glauben an den Rechtsstaat Tausender Bürger, die sich in ihren Grundrechten verletzt sehen. Ist diese hohe Zahl noch Ausdruck von Gerechtigkeit oder bereits Teil einer systematischen Aushöhlung des Grundrechtsschutzes? Diese Praktik möchte ich im heutigen Beitrag einmal kritisch besprechen.


Das Schweigen von Karlsruhe –  Wie Transparenz und Rechtsstaat am höchsten deutschen Gericht unter die Räder kommen.

Das Bundesverfassungsgericht, Hüter der Verfassung, hüllt sich in Schweigen. Wo eine Begründung und Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Argumenten erwartet werden, legt sich über die Gründe für die Nichtannahme im Nichtannahmebeschluss oft ein undurchdringlicher juristischer Schleier. Seit 2012 bewegte sich laut LTO die Anzahl der nicht angenommenen Verfassungsbeschwerden zwischen 5.000 und 6.000 pro Jahr. Von den Nichtannahmebeschlüssen werden etwa 200 bis 300 mit einer Begründung versehen. Mit einer sogenannten Tenorbegründung, einem knappen Hinweis zur Unzulässigkeit oder Unbegründetheit, wurden in den vergangenen Jahren jährlich etwa 600 Nichtannahmen versehen, in den Jahren 2012-2014 waren es allerdings noch über 1.000. Ganz ohne Begründung bleiben schließlich über 4.500 Beschwerden jedes Jahr, also jeweils um die 80 Prozent der eingegangen Verfahren. Zwar mögen unter diesen "aussortierten" Fällen so einige sein, mit denen zu Recht "kurzen Prozess" gemacht wurde, doch lässt diese hohe Zahl vermuten, dass auch viele diskutable Fälle darunter sein dürften, die eine vertiefte Behandlung verdient hätten. Die Intransparenz über die Nichtannahme nährt schon länger den Verdacht, dass sich jenes Mittel auch hervorragend dazu eignet, um unbequeme Fälle im Keim zu ersticken. Wie kann ein Gericht, das sich dem Rechtsstaat verpflichtet fühlt und die Begründungspflicht auch sonst im Gerichtswesen die nötige Transparenz der Entscheidungen sicher stellen soll, derart intransparent mit den Anliegen der Bürger umgehen? Und das wir uns nicht falsch verstehen, das Bundesverfassungsgericht steht mit einem solchen fragwürdigen Vorgehen nicht alleine, weiter unten in der Instanzenhierarchie gibt es ebenso Bedarf nach mehr Transparenz und bürgerfreundlicherem Vorgehen. Dies wird noch in anderen Beiträgen zu diskutieren sein.

David gegen Goliath –  Der ungleiche Kampf des Bürgers gegen den Staat vor dem Bundesverfassungsgericht.

Die Hürden für eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde sind hoch. Oft stehen Bürger, die sich in ihren Grundrechten verletzt sehen, einem übermächtigen Gegner gegenüber: dem Staat. Ohne die nötigen juristischen Kenntnisse gleicht der Gang nach Karlsruhe von Anfang an einem Kampf David gegen Goliath. Selbst über Prozesskostenhilfe einen geeigneten und willigen Anwalt zu finden, ist nicht immer einfach oder von höherer Aussicht auf Erfolg gekrönt. Ist diese Art und Weise nicht am Ende ein Freibrief für Richter, Behörden und Verwaltungen, ihrer Willkür freien Lauf zu lassen, wenn am Ende - statistisch gesehen - kaum eine Chance besteht sich erfolgreich gegen übergriffiges staatliches Handeln zu wehren? Und was sagt das über die tatsächliche Qualität des allseits gepriesenen Rechtsstaates aus?

Politische Initiativen für eine Begründungspflicht von Nichtannahmebeschlüssen bislang erfolglos

Die Flut an Verfassungsbeschwerden und die hohe Zahl an unbegründeten Nichtannahmebeschlüssen werfen zumindest die Frage auf, ob das Bundesverfassungsgericht den Herausforderungen unserer Zeit noch gewachsen ist. Ich denke es ist an der Zeit, dass das höchste deutsche Gericht seiner Verantwortung als Hüter der Verfassung gerecht wird. In 2018 und 2022 hatte die AfD wiederholt eine Begründungspflicht für Nichtannahmebeschlüsse gefordert. Umgesetzt wurde der Vorschlag mangels politischer Mehrheiten hingegen nicht. Das sollte sich ändern und zwar mit einer angemessenen Begründung. Denn eine allein formelhafte Bemerkung bringt auch niemanden weiter. Daneben gehört auch die Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts auf den Prüfstand. In Zeiten, in denen technische Hilfsmittel wie etwa die Künstliche Intelligenz, die Sichtung und Auswertung von einer Vielzahl an Schriftsätzen automatisiert bereits zu leisten im Stande ist, als auch bei der Abfassung der Begründung Hilfe leisten könnte, ist für das bislang für einen Wegfall sprechende Argument der Arbeitsentlastung kein Raum mehr. Stimmen, die am Status Quo keinerlei Änderungsbedarf sehen, verschließen sich sehenden Auges der dringend benötigten Stärkung des Rechtsstaates. Ein "Weiter so wie immer" dürfte die Akzeptanz des Staates vielmehr tiefer untergraben.

Fazit:

Die konstant hohe Zahl an unbegründeten Nichtannahmebeschlüssen am Bundesverfassungsgericht ist ein alarmierendes Zeichen. Sie wirft einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit des höchsten deutschen Gerichts und untergräbt massiv das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Das zu kritisieren ist kein Populismus, sondern zeigt zu Recht mit dem Finger auf eine offene Wunde im institutionellen Gefüge in Deutschland. Es ist Zeit für eine offene und ehrliche Debatte über die Rolle und die Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts. Nur so kann der Grundrechtsschutz gestärkt und das Vertrauen in die Institutionen wiederhergestellt werden. Karlsruhe sollte sich künftig stärker in allen vorgelegten Fällen zu erklären haben.

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