Der Skandal um die Gefährderansprache am Wossidlo-Gymnasium in Ribnitz-Damgarten erreicht nun auch die Gerichte des Landes!
So wird das Verwaltungsgericht Greifswald über einen Eilantrag von
seylaw.blogspot.com entscheiden müssen (Az.: 2 B 487/24 HGW), nachdem sich die zuständige Polizeiinspektion Stralsund nunmehr endgültig weigerte, dem Blog gegenüber
mehrere übermittelte kritische Fragen zu beantworten.
Zur Begründung der Versaungsentscheidung führt die Polizeiinspektion per E-Mail vom 21.3.24 an:
"[...] insbesondere auch nach Rücksprache mit dem Dezernat 4 (Justiziariat) des Polizeipräsidiums Neubrandenburg muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie keine weiteren Auskünfte zu Ihrer Anfrage erhalten werden – gemäß Landespressegesetz besteht lediglich gegenüber Vertretern der Presse die Verpflichtung. Diese formellen Voraussetzungen, auch Ihren Blog als Qualifizierung eines Online Journalismus betreffend, sehen wir bei Ihnen als nicht erfüllt. Sie verweisen auf Art. 5 Abs 1 S. 2 GG. Im Satz 1 heißt es, dass jeder das Recht hat sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Es gibt zahlreiche Beiträge unterschiedlichster Medien, auf eine namentliche Aufstellung wird aus Gründen der Gleichbehandlung verzichtet.
Dem Begehren nach einem begründeten Versagungsbescheid kann zudem nicht entsprochen werden, da es sich bei den begehrten Auskünften nicht um einen Verwaltungsakt handelt. [...]"
Bereits die Einordnung der Auskunft als Realakt ist rechtsfehlerhaft, den vielleicht mitlesenden Kollegen vom Dezernat 4 sei empfohlen, künftig vor einer solchen Auskunft sich die Merkmale eines Verwaltungsaktes nach § 35 S. 1 LVwVfG noch einmal vor Augen zu führen und bei Zweifeln zumindest ein jüngeres Lehrbuch oder einen aktuellen Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsrecht zur Hand zu nehmen, etwa das ergooglebare Werk von Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 9 Rn. 13 f. m.w.N.:
"Die Ablehnung eines Antrages hat jedenfalls dann Verwaltungsaktsqualität, wenn das abgelehnte Verwaltungshandeln seinerseits als Verwaltungsakt anzusehen wäre (z. B. die Ablehnung einer „Bewilligung” oder „Genehmigung” oder die Mitteilung an den Bewerber um eine ausgeschriebene Beamtenstelle, die Stelle sei einem Mitbewerber übertragen. Die jüngere Rechtsprechung wie auch das Schrifttum gehen zunehmend darüber hinaus und messen jeder förmlichen Ablehnung einer beantragten Amtshandlung Regelungsgehalt bei, unabhängig davon, ob deren Vornahme ein Verwaltungsakt oder schlichtes Verwaltungshandeln wäre.
Die Rechtsprechung will gar die Auskunft als solche als Verwaltungsakt behandeln, wenn sie im Rahmen eines der Behörde ausdrücklich eingeräumten Abwägungsprozesses ergeht und so der Erteilung oder Verweigerung der Auskunft ein eigenes Verfahren vorgeschaltet ist. [Anm. d. Verf.: So wie im § 4 des Landespressegesetz vorgesehen und auch hier geschehen!] Konsequenz dieser Auffassung ist, dass der Anspruch auf Auskunftserteilung in derartigen Fällen nur mit der Verpflichtungsklage, nicht mit der allgemeinen Leistungsklage verfolgt werden kann." Allein bei einer "spontanen Auskunftserteilung" könnte man einen Realakt annehmen, ein solcher liegt hier aber eindeutig nicht vor.
Wichtiger ist hingegen, dass die gegebene Antwort materiell-rechtlich den in der Rechtsprechung anerkannten verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch für Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestaltetem Angebot aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verkennt (VG Berlin, Beschluss vom 23.06.2017 - 27 L 295.17 =
https://openjur.de/u/2250920.html).
Wie es in der Entscheidung hieß, gehören heute nicht mehr nur Presse, Hörfunk und Fernsehen zu den unentbehrlichen Massenkommunikationsmitteln, denen die vom Bundesverfassungsgericht beschriebene Wirkung zukommt. Auch Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestaltetem Angebot können der Massenkommunikation dienen. Diese können - ebenso wie die klassischen Medien - die grundrechtlich geschützte Vermittlungsfunktion erfüllen (vgl. zu dieser Funktion u.a. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 1991 - 1 BvF 1/85, 1 BvF 1/88 - zit. nach juris, Rn. 401). Ihnen kann sowohl für die Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen wie für deren Kontrolle als auch für die Integration der Gemeinschaft in allen Lebensbereichen eine maßgebende Wirkung zukommen. Sie können dem Bürger die erforderliche umfassende Information über das Zeitgeschehen und über Entwicklungen im Staatswesen und im gesellschaftlichen Leben verschaffen. Zudem können sie die öffentliche Diskussion ermöglichen und in Gang halten, indem sie Kenntnis von den verschiedenen Meinungen vermitteln, dem Einzelnen und den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit geben, meinungsbildend zu wirken, und sie können selbst einen entscheidenden Faktor in dem permanenten Prozess der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung darstellen.
Neben der verfassungsrechtlich schützenswerten Funktion, die ein Telemedium mit journalistisch-redaktionell gestaltetem Angebot genauso wahrnehmen kann wie der klassische Hörfunk und das Fernsehen, sind auch die am jeweiligen Kommunikationsprozess Beteiligten vergleichbar (vgl. zu diesem für Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG relevanten Aspekt: BVerfG, Beschluss vom 24. März 1987 - 1 BvR 147/86, 1 BvR 478/86 - zit. nach juris, Rn. 136). Die Kommunikation über die genannten Medien erfolgt jeweils zwischen Anbieter (Veranstalter) und einer unbestimmten Vielzahl von Nutzern (Hörer, Zuschauer, Leser).
Um den Auskunftsanspruch nicht uferlos werden zu lassen, hat die Rechtsprechung einschränkend ein Katalog an Anforderungen entwickelt, die ein Blog erfüllen muss, um als Telemedium mit journalistisch-redaktionellem Inhalt zu gelten: Zum einen eine Auswahl und Strukturierung der Inhalte, die gewissen Kriterien genügt, zu denen die Aspekte der Universalität (inhaltliche Vielfalt), Aktualität (Neuigkeitscharakter der Beiträge), Periodizität (für elektronische Medien: kontinuierliche Aktualisierung), Publizität (allgemeine Zugänglichkeit) und eine erkennbar publizistische Zielsetzung des Angebots gehört (OVG Berlin-Bbg, a.a.O. Rn. 24; Lent, ZUM 2013, 915 f.). Unschwer dürfte seylaw.blogspot.com diese nicht allzu hohen Kriterien allesamt erfüllen, so dass man sich fragen muss, warum die Polizei hier entgegen gefestigter Rechtsprechung sich auf das Risiko des Unterliegens vor Gericht eingelassen hat.
Mein Kommentar dazu: Es nährt sich weiter der Eindruck, dass die Polizei alles andere als an einer transparenten Aufarbeitung des Vorfalls interessiert ist. Es auf einen Rechtsstreit mit einem Experten im Verwaltungsrecht ankommen zu lassen, der sich für seine Position auf einschlägige Rechtsprechung berufen kann, ist daneben vom Standpunkt der Krisenkommunikation aus betrachtet törricht. Man will offenbar jegliche Aufklärung, wozu auch die Offenlegung der Abwägungen im Einzelfall zählt, verhindern oder zumindest verzögern. Das halte ich für eine höchst bedenkliche Strategie, die dem Ansehen der Landesregierung weiter schaden wird, weil sie unvereinbar mit einem demokratisch verfassten Rechtsstaat ist. Denn richtigerweise hätte die Polizei unverzüglich die Fragen beantworten müssen, weil darauf ein verfassungsunmittelbarer Anspruch besteht. Zu einer Beantwortung wird aller Wahrscheinlichkeit das Verwaltungsgericht die Polizei sowieso zwingen. Sollte Arbeitsvermeidung die Motivation der Beamten für ihre Versagung gewesen sein, haben sie nun jedenfalls das Gegenteil erreicht und weitere unnötige Arbeit für die Juristen des Landes beschafft. Die Entscheidung reiht sich jedenfalls in die Reihe von katastrophalen Fehleinschätzungen durch die Polizei in dem Fall nahtlos ein.
Update vom 9.4.24: Nicht nur der Auskunftsanspruch wird das VG Greifswald in der Sache beschäftigen, die Geschädigte plant nunmehr mit einer Klage die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen von Schule und Polizei feststellen zu lassen. Nach meiner Einschätzung stehen die Erfolgschancen nach dem bisher bekanntem Sachverhalt hierfür gut.