Der Verlust der Unabhängigkeit – Wie das Bundesverfassungsgericht seine Schutzfunktion verspielt

Manchmal genügen ein paar Worte, um ein tieferliegendes Problem zu entlarven. Ein Zitat von Doris König, Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, vermittelt genau diese Einsicht: „Viele Menschen scheinen von der Komplexität der Problemlagen überfordert zu sein, auch von der Rechtslage.“ Ein Satz, der offenlegt, wie weit einige der höchsten Richterinnen und Richter unseres Landes vom Volk entfernt sind – und vor allem, was sie vom mündigen Bürger halten. Doris König ist keine gewöhnliche Stimme im Chor der Hochnäsigen; sie ist die Spitze des Zweiten Senats des höchsten deutschen Gerichts. Eine Institution, die geschaffen wurde, um den Bürger vor staatlicher Übermacht zu schützen. Doch König scheint einen anderen Kurs eingeschlagen zu haben – einen, der den Schutz der Grundrechte nicht mehr im Mittelpunkt sieht, sondern im Zweifel auf die Macht der Regierung vertraut. In einem Interview mit der „ Rheinischen Post “ äußert sie: „Denken Sie an die Corona-Rechtsprechung, die ich absol

Gefährderansprache in Ribnitz-Damgarten - Überzogene Reaktion oder notwendige Prävention?

Mecklenburg-Vorpommern ist gerade weltweit im Gespräch. Der Fall einer 16-jährigen Schülerin des Richard-Wossidlo-Gymnasiums in Ribnitz-Damgarten sorgt für Schlagzeilen und kontroverse Debatten. Die Jugendliche wurde, nachdem sie in sozialen Medien Posts einer legalen Partei mit "Heimatliebe"-Bezug geteilt hatte, in der Schule von der Polizei einer sogenannten "Gefährderansprache" unterzogen - obwohl sich der Verdacht strafbaren Verhaltens nicht erhärtete. Der Vorfall wirft grundsätzliche Fragen zum schwierigen Spannungsfeld von Extremismusprävention, Meinungsfreiheit und der Rolle von Schulen auf.

Alles begann mit einer E-Mail an die Schulleitung, die Schülerin habe mutmaßlich "staatsschutzrelevante Inhalte" im Netz verbreitet. Daraufhin führten Polizeibeamte in Absprache mit Schulleiter Zimmermann ein Gespräch mit der 16-Jährigen, um sie vor möglichen Anfeindungen aufgrund ihrer Social-Media-Aktivitäten zu schützen und präventiv auf die Grenzen zwischen erlaubter Meinungsäußerung und Strafbarkeit hinzuweisen, wie es in der Pressemitteilung der Polizei heißt.

Doch war diese Intervention verhältnismäßig, rechtmäßig und pädagogisch sinnvoll? Immerhin hat die Schülerin, soweit bekannt, lediglich völlig legale Inhalte geteilt. Mögen diese der politischen Gesinnung von Schulleitung und Polizei auch nicht genehm sein, sind sie doch von der grundgesetzlich verbrieften Meinungsfreiheit gedeckt, solange sie nicht konkret strafbewehrt sind. Ohne belastbare Anhaltspunkte für eine Gefährdung oder rechtswidrige Handlungen ist daher höchst fraglich, ob die staatlichen Organe hier zu Recht eingegriffen haben. Schließlich ist das Verhältnismäßigkeitsgebot zu wahren.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ergeben sich Zweifel am Vorgehen der Behörden: Gab es in den letzten Jahren ähnlich gelagerte "Gefährderansprachen" auch bei Schülern, die in den Augen der Polizei "gefährdende" Inhalte aus dem linksextremen Spektrum oder von Klimaaktivisten verbreitet haben? Falls nicht, wäre eine solche Ungleichbehandlung kaum zu rechtfertigen. Die Polizei muss transparent darlegen, nach welchen objektiven Kriterien sie präventiv-polizeiliche Interventionen gerade bei Minderjährigen für erforderlich hält.

Ebenso bedenklich erscheint die Rolle von Schulleiter Zimmermann. Eine inzwischen gegen ihn eingereichte Dienstaufsichtsbeschwerde wirft ihm vor, durch die Ermöglichung der polizeilichen Maßnahme und die damit verbundene Stigmatisierung eine schwere Dienstpflichtverletzung begangen zu haben, welche die persönliche Entwicklung der Schülerin nachhaltig beeinträchtigen könne. In der Tat haben Schulen eine wichtige Aufgabe bei der Vermittlung demokratischer Werte und der Extremismusprävention. Gleichzeitig müssen sie aber auch die Grundrechte ihrer Schüler achten und politische Neutralität wahren. 

Dieser Neutralitätsanspruch ist im Schulgesetz Mecklenburg-Vorpommern klar verankert. Dort heißt es, Ziel der schulischen Bildung sei "die Entwicklung zur mündigen, vielseitig entwickelten Persönlichkeit, die im Geiste der Geschlechtergerechtigkeit und Toleranz bereit ist, Verantwortung für die Gemeinschaft mit anderen Menschen und Völkern sowie gegenüber künftigen Generationen zu tragen." Eine Ausgrenzung und Stigmatisierung von Schülern aufgrund ihrer - in legalen Grenzen geäußerten - politischen Ansichten läuft diesem Bildungsziel zuwider.

Statt der Heranwachsenden durch einseitige Sanktionierung das Gefühl zu vermitteln, für ihre Meinung an den Pranger gestellt zu werden, wäre eine kritische, ergebnisoffene Auseinandersetzung mit dem Thema Meinungsfreiheit und ihren Grenzen im Unterricht sicherlich zielführender und pädagogisch wertvoller gewesen. Gerade angesichts der Pläne von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, künftig auch "Hatespeech" unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz rechtlich zu ahnden - ein Vorhaben, vor dem renommierte Verfassungsrechtler eindringlich warnen - ist es wichtiger denn je, dass Schüler lernen, die Grundrechte zu schätzen, aber auch verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen.

Der Fall der Schülerin aus Ribnitz-Damgarten zeigt exemplarisch, wie schwierig die Abwägung zwischen Extremismusprävention, Jugendschutz und Freiheitsrechten im Einzelfall sein kann. Er sollte uns mahnen, dass eine lebendige und wehrhafte Demokratie vom offenen, auch kontroversen Diskurs lebt - nicht von obrigkeitsstaatlicher Bevormundung und Einschüchterung. Gerade in Bezug auf junge Menschen, die noch dabei sind, sich eine politische Meinung zu bilden, ist dabei ein behutsames und ausgewogenes Vorgehen gefragt.

Schulen, Sicherheitsbehörden, aber auch wir als Gesellschaft insgesamt müssen uns immer wieder selbstkritisch fragen, wie wir mit provokanten oder irritierenden Meinungsäußerungen gerade von Minderjährigen am besten umgehen. Ein Weg, der statt auf Stigmatisierung auf Vertrauen und die Stärkung demokratischer Diskursfähigkeit setzt, scheint mir dabei der bessere Weg zu sein. Denn nur durch kontinuierliche Debatte und gelebten Pluralismus kann sich unsere freiheitliche Ordnung auf Dauer behaupten.

Der Vorfall am Wossidlo-Gymnasium liefert insofern wichtige Denkanstöße, die weit über den Einzelfall hinausreichen. Es bleibt zu hoffen, dass Schulleitung, Lehrerschaft, Eltern- und Schülervertreter die Chance nutzen, um gemeinsam und selbstkritisch zu reflektieren, welche Lehren sie daraus für die Zukunft ziehen. Ihr Ziel muss es sein, die Schüler stark zu machen für eine offene Gesellschaft, in der Toleranz nicht Beliebigkeit, Meinungsfreiheit nicht Verantwortungslosigkeit und Prävention nicht Repression bedeutet. Es liegt an uns allen, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
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Anbei mein bislang unbeantwortet gebliebener Fragenkatalog an die Polizeiinspektion Stralsund (die Antworten werden nach Erhalt gesondert besprochen):

1. Welche konkreten Inhalte hat die Schülerin in den sozialen Medien verbreitet, die als "mutmaßlich staatsschutzrelevant" eingestuft wurden? Wie genau begründet sich dieser Verdacht und die getroffene Einordnung?

2. Warum wurde trotz des Ergebnisses, dass kein Anfangsverdacht einer Straftat besteht, dennoch ein "Aufklärungsgespräch mit präventivem Charakter" mit der Schülerin geführt? Auf welcher Rechtsgrundlage basiert dieses Vorgehen? Wurden die Grundrechte der Schülerin, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Meinungsfreiheit hierbei berücksichtigt und wie sah die Abwägung im Detail aus?

3. Gab es vergleichbare präventive Gefährderansprachen seitens der Polizei in den letzten drei Jahren auch im Bereich des Linksextremismus oder bei Klimaaktivisten, wenn diese "gefährdende" Inhalte in sozialen Medien geteilt haben? Falls nein, warum nicht?

4. Wie stellt die Polizei sicher, dass solche präventiven Gespräche mit Minderjährigen, die selbst nicht tatverdächtig sind, deren Persönlichkeitsrechte wahren und nicht stigmatisierend wirken?

5. Welche Kriterien wendet die Polizei generell an, um zu entscheiden, ob Inhalte in sozialen Medien "gefährdend" sind und eine polizeiliche Intervention in Form solcher Gespräche rechtfertigen? Wie wird sichergestellt, dass dies nicht zu unverhältnismäßigen Eingriffen führt?

6. Plant die Polizei eine Evaluierung und ggf. Anpassung der Praxis solcher präventiver Ansprachen vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte um den konkreten Fall?

Ich bitte um Ihre Stellungnahme zu diesen Fragen. Eine transparente Aufklärung erscheint geboten, um das Vertrauen der Bevölkerung in eine rechtmäßige, verhältnismäßige und diskriminierungsfreie Polizeiarbeit zu wahren.

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Update: Mittlerweile hat sich die Betroffene gegenüber NIUS geäußert und wird mit den Worten zitiert: „Die Polizei sagte mir, ich solle sowas in Zukunft unterlassen.“ Angeblich zu ihrem Schutz. Damit überwiegt in meinen Augen entgegen der Suggerierung durch die Presseerklärung der Polizei nicht der Aufklärungsaspekt der Maßnahme, sondern der der Einschüchterung. Es bleibt unklar, ob der Schutz vor der öffentlichen Reaktion gemeint war oder der Schutz vor staatlicher Repression. Das Signal ist aber eindeutig, dass was sie gemacht hat, wurde als unerwünscht und problembehaftet dargestellt obwohl die Inhalte hierzu keinen Anlass boten.

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